Ich habe mir viel Zeit gelassen, den versprochenen Erfahrungsbericht zu
schreiben. Ich hoffe, sie kennen mich gut genug um zu wissen, dass ich ihn
nicht vergessen habe und nie vorhatte, ihn nicht zu schreiben. Ich dachte
mir, im Sommer genug Zeit und Ruhe zu haben, mich ihm zu widmen. Der
Anlass, aus dem ich mich jetzt spontan an den Rechner gesetzt habe, ist
zwar einerseits wenig erfreulich, anderseits aber vielleicht auch ein
Indiz dafür, dass ich ein bisschen besser gelernt habe, mit mir umzugehen.
Vielleicht erzähle ich erst mal, was im
letzten halben Jahr so geschehen ist. Die größten Neuigkeiten sind wohl,
dass mein Freund und ich zusammengezogen sind.
Ich hatte ja immer gehofft, dass er zu mir, in meine neue Wohnung zieht,
aber ihm war das nie so lieb gewesen, da ihm diese Wohnung als zu klein
und vor allem als zu offen für zwei zuhause arbeitende Menschen erschien.
Also hat er – nachdem er wohl einige Wochen darüber gebrütet und auch mit
vielen Menschen darüber gesprochen hat – zu Ostern vorgeschlagen, dass wir
uns gemeinsam eine neue Wohnung suchen. Zuerst war ich sehr traurig, weil
ich meine wunderschöne Wohnung nicht nach so kurzer Zeit schon wieder
aufgeben wollte, habe mich aber dann doch schnell dafür entschieden und
wir waren auf unserer Wohnungssuche auch schnell erfolgreich (zwei Beamte
sind der Traum eines jeden Vermieters…). Meine Zweifel und Gedanken
wurden daraufhin wieder etwas stärker, aber das hat mich nicht weiter
überrascht und ich habe relativ erfolgreich versucht, es nicht so ernst zu
nehmen.
Die Sommerferien haben wir nun für den
Umzug genutzt und dafür auch gut drei Wochen gebraucht. Es war nicht immer
ganz leicht, da ich, was Wohnen angeht, etwas „zickig“ bin, aber wir sind
ja ganz gut darin, mit den Schwächen des anderen umzugehen.
Leider hat es mich aber seit dem Umzug
wieder stärker erwischt (d.h. ich frage mich, wieso und weshalb ich jetzt
mit diesem Mann zusammenwohne, frage mich, was Liebe überhaupt sein soll,
ob es mir nicht besser ginge, wenn ich wieder alleine wäre, ob es nicht
mutiger wäre, mich zu trennen, beobachte all die Dinge, die mir an ihm
nicht gefallen, vergleiche ihn mit anderen Männern, die natürlich alles
viel besser sind, auch wenn ich sie gar nicht kenne etc. – das Übliche
halt) und so richtig habe ich es noch nicht geschafft, es in den Griff zu
kriegen. In ein richtig tiefes Loch bin ich jedoch auch nicht gefallen,
aber es schränkt die Lebensqualität schon sehr ein.
Heute morgen ging es mir besonders schlecht (ich bin das erste Mal seit
unserem Umzug über Nacht alleine in der Wohnung), da kommt dann ja eins
zum anderen, dann lese ich noch irgendeinen Zeitungsartikel über einen
buddhistischen Mönch, und dann ist es vorbei, und ich hatte eigentlich
überhaupt keine Lust mehr, wollte mich nur noch in eine Ecke setzen und
weinen und aufhören zu kämpfen und mich und mein trauriges Los
bemitleiden. Stattdessen habe ich die Therapieunterlagen hervorgekramt, um
mir die „Gebrauchanweisung für mich selbst“ und andere hilfreiche Zettel
anzuschauen. Und dabei dachte ich, ich könnte mich endlich mal an den
Erfahrungsbericht setzen. Ob das so eine gute Idee war, weiß ich nicht, da
es ja jetzt eher eine Beschreibung aktueller Probleme ist, als ein
Erfahrungsbericht. Aber mal sehen, was noch daraus wird. Auf jeden Fall
passt es gut in mein Muster, dass ich mich nicht so gern mit dem ganzen
„Therapiekram“ befasse, wenn es mir halbwegs gut geht, sondern erst dann,
wenn es mir wieder nicht so gut geht.
Ganz von vorne anfangen ist wohl nicht
notwendig, da ich zwischendurch ja schon mal einen
Erfahrungsbericht geschrieben habe. Vielleicht fange ich deswegen mal
von hinten an. Mit dem, was sich geändert hat und mit dem, was ich noch
nicht geschafft habe. Ich habe irgendwann zwischendurch mal diese kurzen
Notizen in den Rechner gehämmert:
Hauptunterschied: Anderer Umgang mit
Dingen. Nicht so schnell an etwas Verzweifeln, sich selbst nicht so
runterziehen lassen
Das kann ich vielleicht noch etwas
erläutern. Ich habe mich in den letzten Monaten, z.B. im Job, öfters bei
Gedanken erwischt, die ungefähr so nach dem Motto gingen: „Ich habe keine
Lust mehr, ist doch alles scheiße, ich lass mich jetzt hängen“ – diesen
Gedanken habe ich dann aber nie Raum gelassen, sondern habe direkt
gegengesteuert und mich nicht hängen lassen und mir gesagt, dass ich
selbst dafür verantwortlich bin, dass nicht „alles scheiße“ ist. Das ist
mir ziemlich gut gelungen, bis auf die letzten Wochen ja auch in Hinsicht
auf Beziehung.
In einigen Bereichen gelingt es mir schon
ganz gut, meine Gefühle/Gedanken zu steuern. Andere Bereiche habe ich noch
nicht im Griff –
-
Das Beziehungsproblem hat sich leider noch
nicht so gelöst, wie ich das gehofft hatte
-
Auch kann ich immer noch keine Zeitungen
lesen, ohne in Gefahr zu laufen über Artikel zu stolpern, die mich
umhauen – aber das hängt auch sehr von meiner Gesamtverfassung ab – in
labilen Zeiten wie jetzt stolpere ich sehr viel schneller als in
stabilen Zeiten.
-
Ich merke immer wieder, wie verdammt schwer
mir Achtsamkeit fällt. Vor ein paar Tagen war ich endlich mit meinem
Freund im Zoo, das hatten wir uns schon seit Ewigkeiten vorgenommen,
auch, um Achtsamkeit zu üben, und gerade im Moment ist es bei mir im
Kopf ja sehr laut und es gelingt mir kaum.
-
Vielleicht nicht ganz so wichtig, aber ich
finde keinen Umgang mit meinen Träumen. Oft habe ich sehr belastende,
sich wiederholende Träume, zum Glück ist das jetzt wieder vorbei, die
mich mit einem quasi depressiven Gefühl aufwachen lassen und ich finde
die Beschäftigung damit wenig anregend.
Wenn ich jetzt noch etwas über die
konkreten Therapieerfahrungen schreibe, wiederhole ich vieles, was ich
schon an vielen anderen Stellen gesagt habe. Für mich wohl am wichtigsten,
weil am nachhaltigsten, ist das viele Schriftliche. Das sind zum einen die
„Therapeutischen Rückmeldungen“, die ja im Prinzip noch mal ein Kondensat
der Sitzungen sind (es wird nicht einfacher, nach so langer Zeit das
Gekrakel zu lesen … aber ich wiederhole mich) und immer wieder hilfreiches
bieten, die Arbeitshilfen und die Dinge, die ich zuweilen selbst
geschrieben habe. Das heißt natürlich nicht, dass die Sitzungen
überflüssig waren, denn das ‚ganze Schriftliche’ hätte ohne diese ja so
nicht entstehen können, aber ohne das Schriftliche wären die Sitzungen
jetzt nur noch eine ferne Erinnerung. Ich muss meine automatischen
Gedanken ja immer wieder von neuem in den Griff kriegen und da hilft es
wenig, wenn ich oder Sie vor zwei Jahren mal einen klugen Satz dazu
geäußert haben. Genauso hilfreich war es, selber Dinge aufzuschreiben. Ich
merke gerade mal wieder, wie sehr es mir hilft, und dass ich es vielleicht
öfter tun sollte. Wobei es mir auch immer sehr wichtig war, dass ich
wusste, dass Sie das lesen und sich dazu äußern. Aber vielleicht kriege
ich es ja auch für mich selber hin, ein bisschen was müsste ich ja
inzwischen gelernt haben.
Das vorher Gesagte bringt mich wieder mal
zu den Emails, die ich ja auch schon öfter als sehr hilfreich erwähnt habe
und ich hoffe sehr, dass sie als therapiebegleitende Maßnahme einen
rechtlichen Rahmen bekommen. Abgesehen davon, dass sie die Therapie über
die lange Durststrecke der versicherungsbedingten Unterbrechung gerettet
haben, waren sie eine Art Rettungsanker in akuten Notfällen und eine gute
Art, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen und für mich persönlich auch
sehr hilfreich, Dinge zu sagen, und Gefühle zu zeigen, die ich im
persönlichen Kontakt so nie hinbekommen habe – leider. Dass es mir nie
möglich war, meine Selbstkontrolle so aufzugeben, wie es mir bei sehr
vertrauten Personen möglich ist oder war, hat die Therapie wohl nicht
einfacher gemacht. Ich bin mir das auch selbst noch ein Rätsel, wieso ich
mitten im Kaufhaus anfangen kann zu weinen, aber nicht bei der Therapie.
Der Umstand, dass ich versucht habe, mich
immer erst auf das Positive zu konzentrieren hat jetzt dazu geführt, dass
ich mit etwas eher Negativem aufgehört habe. So sollte mein
Erfahrungsbericht eigentlich nicht enden. Aber ich habe ja auch noch einen
Weg vor mir, wie es scheint, auch wenn ich das manchmal vergesse. |