Die Konsequenzen der Autopoiesis sind in zweifacher
Hinsicht wesentlich:
1. Lebende Systeme sind Umweltreizen nicht mehr
unmittelbar in einer Reiz-Reaktions-Abhängigkeit6 ausgesetzt. Vielmehr werden die
eintreffenden Impulse nach systemintern entwickelten Regeln aufgenommen und verarbeitet bzw.
integriert. Das System wird sich dadurch in seiner Wahrnehmung selbst zur Referenz7. Aus
der Umwelt können somit zwar noch Impulse „ins System“ gelangen, die Art und Weise
jedoch, wie diese Impulse im System ankommen und aufgenommen werden bzw. wirken,
obliegt alleine den systemimmanent gebildeten Aufnahme- und Verarbeitungsmodi
des Systems selbst. Diese im Prinzip zirkulär-selbstreferenzielle
Operationsweise wird auch als
operative Geschlossenheit
bezeichnet.
2. Lebende Systeme gewinnen durch diese operative
Geschlossenheit bei der Verarbeitung von
Umweltimpulsen autonome, von ihrer Umwelt gänzlich unabhängige Freiräume. Denn in den von systeminternen Regeln
bestimmten Verarbeitungsprozessen können mehrere unterschiedliche Handlungsoptionen erzeugt
und erst nach einer ebenfalls ausschließlich systeminternen Abwägung in
konkrete umweltbezogene Handlungsweisen umgesetzt werden.
Gerade diese autonome und Außenwirkungen nur mittelbar zugängliche operative Geschlossenheit ist die Bedingung für die Konstituierung
und auch Stabilisierung eines Systems. Nicht jeder Umweltimpuls zwingt jetzt
unmittelbar zu einer Reaktion, sondern nur noch diejenigen, die das System in Bezug auf
sich selbst als wesentlich wahrnimmt.
⇒ Was würde wohl passieren, wenn jeder Fan oder Fan-Club
jederzeit mitbestimmen könnte, wer in seiner Mannschaft mitspielen darf, wie seine Mannschaft
auf dem Spielfeld aufzustellen ist und welcher Spielstrategie gefolgt werden muss? Der Erfolg
eines Clubs kann sich nur dann einstellen, wenn das System „Fußballmannschaft“ autonom dazu in der
Lage ist, aus sich selbst heraus Spieler und Spielweise zu bestimmen, d.h. seine Elemente
und Handlungsweisen selbststeuernd und selbstorganisierend festzulegen.
Aber gerade diese Autonomie hat auch ihren Preis: das System wird sich selbst zum Problem. Indem
Umweltreize zunächst nach systemspezifischen Gesichtspunkten gefiltert und dann mit systemeigenen Daten angereichert sowie bewertet
werden, vergeht Zeit, die durch die Vielzahl möglicher Umweltimpulse sehr schnell knapp werden
kann. Um immer noch adäquat reagieren zu können, muss ein System schnellstmöglich die
(System-)Relevanz der vielfältigen auf es einströmenden Ereignisse beurteilen können.
Im Bemühen um Stabilität und Anschlussfähigkeit an seine
Umwelt entwickelt ein System deshalb zunächst Kriterien, die es ihm erleichtern
schnell zwischen „systemrelevanten“ und „systemirrelevanten“ Umweltimpulsen zu
unterscheiden.
⇒ Für eine Fußballmannschaft stehen in erster Linie
„sportliche“ Daten der eigenen Sportart im Vordergrund des Interesses. Von weniger Relevanz ist
dagegen was in anderen Disziplinen oder in grundverschiedenen Bereichen wie z.B. der
Landwirtschaft passiert. Bezogen auf „wirtschaftliche“ Daten sind die Attraktivität
der Sportart und damit z.B. Anzahl der Zuschauer sowie Sponsoren wesentlich, weniger jedoch
sonstige gesamtwirtschaftliche (für Unternehmen wesentliche) oder politische (für Parteien
bedeutsame) Themen. Ein Fußball-Club wird sich somit schwerpunktmäßig auf
diejenigen Umweltimpulse „sensibilisieren“, die für den eigenen sportlichen wie
wirtschaftlichen Fortbestand von Bedeutung sind.
In einer weiteren Stufe der Systemoptimierung und
-stabilisierung werden schließlich
fertige und verlässliche Handlungsmuster entwickelt, die für „stereotyp“ auftretende Umweltereignisse „automatisierte“ Reaktionen induzieren.
Das System formt dazu in seinem Inneren Strukturen und Prozesse, die seinen Elementen
gegenseitig verlässliche Rollen sowie daraus abgeleitete Handlungsweisen zuordnen und damit ein
koordiniertes Zusammenwirken ohne weitere Absprachen ermöglichen. Koordination muss
nicht mehr durch zeitraubende interne Abstimmungsprozesse erfolgen: tritt das Ereignis
ein, weiß jedes Element, was es zu tun
hat. Auf im Großen und Ganzen wiederkehrende
Umweltereignisse kann jetzt unmittelbar und damit schnell reagiert werden.