Bericht einer 25-jährigen Patientin über die vierte Behandlungswoche
In der nächsten Sitzung
sind Herr Dr. Mück und ich erneut auf den Dom gestiegen. Ich hatte beim
Aufstieg zunächst wieder große Angst. Es war zwar wieder besser als beim
letzten Mal, aber ich hatte erneut noch das Gefühl, meine eigenen Beine
würden mich nicht tragen. Ich hatte noch das Gefühl, vor lauter Angst
gleich in Ohnmacht zu fallen. Herr Dr. Mück konnte mich jedoch schnell
beruhigen, indem er mir versicherte, er würde mich auffangen, sollte das
passieren. Ich bin natürlich nicht in Ohnmacht gefallen und es war mir
vom Verstand her ja auch klar, dass das nicht passieren würde.
In meinem letzten
Erfahrungsbericht hatte ich beschrieben, dass ich die lange Stahltreppe, die
zum höchsten Punkt führt, als besonders unerträglich empfunden hatte. Der
Abstieg vom höchsten Punkt erfolgt jedoch nicht über diese Stahltreppe,
sondern über eine sehr, sehr enge Wendeltreppe. Beim Aufstieg mit meinem Vater
hatte ich diesmal die größte Panik auf dieser engen Wendeltreppe. In der
Sitzung mit Herrn Dr. Mück war es erneut so. Daraufhin schlug Herr Dr. Mück
vor, noch mal das Stahlgerüst hinauf und dann die enge Wendeltreppe hinab zu
gehen. Ich habe mir gedacht, das will ich auf gar keinen Fall noch mal machen.
Da ich aber mittlerweile nicht nur verstanden, sondern auch „gefühlt“ habe,
dass die Angst mit jedem Mal weniger wird, habe ich es gemacht. Und natürlich
war es beim nächsten Mal weniger. Wir sind die Runde dann noch ein drittes Mal
gegangen und beim letzten Mal war der Abstieg kein Problem mehr. Die Angst war
weg und ich habe mich wieder riesig darüber gefreut, dass ich mich überwunden
habe.
Am nächsten Tag stand mein
Flug an. Vor etwa einem Jahr bin ich das letzte Mal geflogen. Davor konnte ich
eine Woche lang kaum schlafen und während des Fluges dachte ich, ich drehe
durch vor lauter Angst. Diesmal war es anders. Die Erfahrungen der letzten
Wochen hatten mich schon so sehr gestärkt, dass ich in den Tagen vor meinem
Flug kaum daran gedacht habe. Auf dem Weg zum Flughafen wurde ich dann etwas
„ängstlich“, es entstand jedoch keine „Panik“. Als ich dann im Flugzeug war,
habe ich der Stewardess gesagt, dass ich noch unter Flugangst leide (das war
ein Tipp von Herrn Dr. Mück) und das hat mir sehr geholfen, denn so fühlte ich
mich nicht mehr so alleine mit meiner „Angst“. Es kam mir fast wie ein Wunder
vor, aber ich war sehr ruhig während des Fluges. Einmal wurde es ein wenig
turbulent und die Stewardess kam zu mir und fragte, ob alles in Ordnung sei.
Das fand ich erstens sehr lieb, zweitens konnte ich ihr aus voller Überzeugung
sagen: „ja, alles in Ordnung“. Ich habe mich so gut gefühlt.
Nachdem ich nun in den
letzten Wochen erlebt habe, dass meine Ängste weniger werden, je öfter ich
mich mit einer Situation konfrontiere, so stellte sich für mich natürlich
schon noch die Frage, warum gerade ich diese Ängste überhaupt jemals hatte.
Warum bekam ich damals in diesem Hörsaal überhaupt Panik, warum habe ich noch
so große Angst vor Präsentationen und selbst wenn ich beim Unterschreiben
einmal total zittern sollte, warum war mir das noch so peinlich und nicht
egal? Und vor allem, warum fühle ich mich noch so oft so einsam, obwohl ich
doch tolle Eltern und liebe Freunde habe. In der nächsten Sitzung konnte ich
dies alles dank Herrn Dr. Mück besser verstehen. Er erweiterte meinen Horizont
um wichtige Erkenntnisse aus der Hirnforschung. Plötzlich wurde mir klar, wie
stark meine Vergangenheit mein Unterbewusstsein geprägt hatte und warum es so
schwierig sein kann, sich von dieser „Prägung“ zu befreien. Ich habe erkannt,
dass ich mich noch so oft einsam fühle, weil es mein stärkstes Kindheitsgefühl
ist. Sobald ich eine Situation nicht schön finde, schaltet mein
Unterbewusstsein auf das „ich fühle mich einsam“ Programm, weil es andere
mögliche Einordnungen noch nicht kennt. Und damals in dem Hörsaal hat
vermutlich irgendein Impuls dieses Kindheitsgefühl wieder sehr so stark
hervorgerufen, dass Panik entstand. Leider war ich damals noch nicht so
„schlau“. Hätte ich mich am nächsten Tag direkt wieder in die Mitte des
Hörsaals gesetzt und die Angst ausgehalten, hätte sich meine Angst niemals so
stark ausbreiten können und es hätte keinen Grund für mich gegeben, heute
diese Zeilen zu schreiben.
Durch diese Sitzung konnte
ich meine bis dato widersprüchlichen Gedanken in Bezug auf „gefühltes“ und
gedachtes“ viel besser einordnen und verstehen, sowie negative Gedanken besser
relativieren. Jetzt begreife ich die noch vorhandene Stärke meiner Prägung und
kann „bewusst“ daran arbeiten und versuchen, durch mein Bewusstsein meine
unterbewussten Muster positiv zu verändern.
Am nächsten Tag stand eine
besondere Sitzung an. Herr Dr. Mück hatte die tolle Idee, einige seiner
Patienten in einer Gesprächsgruppe zusammenzubringen unter dem Motto: „ich
zeige mich“. Uns allen ist noch gemeinsam, dass wir noch eine falsche
Selbstwahrnehmung haben und noch nicht ganz zu uns selbst stehen, auch wenn
sich das im Bewusstsein des anderen unterschiedlich ausdrückt (in meinem Fall
noch durch Sozialphobie, bei den anderen Teilnehmern durch Essstörungen,
Minderwertigkeitskomplexe, etc.). Am meisten bewegte mich in dieser Sitzung,
dass einige Teilnehmer schon seit Jahren mit ihren Problemen kämpfen und mir
wurde noch mal ganz klar, dass ich jetzt wirklich alles dafür tun muss, damit
ich mir das selbst erspare. Und was mich überrascht hat: der Eindruck, den ein
Mensch auf mich macht entsteht unabhängig davon, ob er magersüchtig, ängstlich
oder unsicher ist. Die Probleme, die für die anderen Teilnehmer noch so
„unerträglich“ sind, spielten in meiner Bewertung dieser Menschen überhaupt
keine Rolle. Im Gegenteil- ich habe alle Teilnehmer für ihre Offenheit
bewundert. Anhand meiner eigenen Reaktion wurde mir für mich selbst klar, dass
es gar nicht schlimm ist, wenn man beschließt: „ich zeige mich“. Meine
vermeintlichen Schwächen gehören genauso zu mir wie meine Stärken. Und die
lieben Rückmeldungen der anderen Teilnehmer haben mir gezeigt, dass auch ihr
Eindruck von mir unabhängig von den Schwächen entstanden ist, von denen ich
noch denke, dass „alle“ darauf achten.
Morgen werde ich wieder
fliegen. Und ich besuche jetzt einen Kurs, indem das „Präsentieren“ trainiert
wird. Ich habe noch etwas Angst davor, doch für die nächste Woche habe ich
mich freiwillig dazu bereit erklärt, einen Vortrag zu halten. Ich werde davon
berichten.
Zur fünften Woche |