Die große Herausforderung besteht darin, angstkranke und depressive
Menschen zu vermehrter Bewegung zu motivieren. Dies fällt leichter, wenn
die Betreffenden bereits auf positive Bewegungserfahrungen in ihrem
Leben zurückblicken können und gleichsam nur an die schon vorhandene
Ressource erinnert werden müssen (Stichwort: Schwimmen verlernt man
nicht). Ihnen hilft oft schon, wenn man ihnen aufzeigt, wie sich ein
Mehr an Bewegung in ihrem Alltag wieder sinnvoll einbauen lässt und wie
dies ggf. organisatorisch zu bewältigen ist. Dabei sollte man möglichst
an die frühere Sportart anknüpfen und – wenn dies nicht möglich ist –
eine vergleichbare empfehlen.
Schwieriger fällt eine solche „Motivierung“
bei weitgehend sportunerfahrenen Personen, die sich oft ein stabiles
Argumentationssystem zugelegt haben, mit dem sie ihren Bewegungsmangel
begründen („Mir fehlt dazu die Veranlagung oder Lust“). Solchen Menschen
kann man zumindest verdeutlichen, dass „Gene kein Schicksal“ sind und
dass nach dem heutigen wissenschaftlichen Stand („Epigenetik“)
schlummernde Gene sich meist lebenslang aktivieren lassen. Beispiel:
Durch Training lässt sich nicht nur die „Figur“, sondern auch die
Zusammensetzung der Muskulatur verändern. Ähnlich wie bei Rauchern kann
sich sog. Motivational Interviewing eignen, den Betreffenden zu neuen
Einstellungen zu verhelfen. Dafür ist es wichtig herauszufinden, ob die
Sport ablehnende Person zu 100 Prozent gegen Sport eingestellt ist oder
diesem zumindest schon einige wenige positive Aspekte abgewinnen kann.
Im Weiteren gilt es dann, durch hilfreiche Zusatzfragen die
entsprechende innere Stimme so weit zu stärken, dass sie der bislang
ablehnenden Stimme irgendwann überlegen ist.
Ansonsten ist es
wichtig, durch das eigene Vorbild zu überzeugen, Sport als wichtiges
Teilelement eines Gesamtbehandlungsplanes darzustellen (kein „Vielleicht
probieren Sie es auch einmal mit Sport“), Motivationshilfen anzubieten
(Beispiele anderer Patienten, Audio-CDs, Schrittzähler) und – wie die
Erfahrung mit wissenschaftlichen Studien zeigt – immer wieder konsequent
neue Erfahrungen mit dem Sporttreiben zu erfragen und positiv zu
kommentieren („Was man beachtet, das wächst“). Menschen, die in ihrem
Leben kaum Sport getrieben haben, sollten vorsichtig an die Hand
genommen und gegebenenfalls persönlich zum ersten Termin begleitet
werden (falls nicht sogar gemeinsames Sporttreiben möglich ist).
Zumindest sollten ihnen Wege genau aufgezeigt werden, wie sie sich
sportlichem Handeln nähern können (z.B. Adressen vermitteln, etwa zu
Lauftreffs, oder persönlich für die Betreffenden in Vereinen oder
Fitnessstudios einen Termin vereinbaren). Erfahrungsgemäß kann ein
(konsequent geführtes!) „Trainingstagebuch“ Motivation und Disziplin
fördern.
Depressive Menschen werden fast standardmäßig erwidern, dass
sie schon gerne mit dem Sporttreiben beginnen würden, allerdings würden
sie noch so lange warten, bis es ihnen dafür ausreichend besser geht.
Hier gilt es so lange zu erläutern, dass es auf den umgekehrten
Zusammenhang ankommt („Sport soll gerade dazu beitragen, dass es Ihnen
wieder besser geht“), bis der Betreffende die Zusammenhänge verstanden
hat. Jedem Patienten sollte das Versprechen abgenommen werden,
wenigstens dreimal testweise zu trainieren, bevor er sich ein
abschließendes Urteil gestattet.
Da ein großer Teil der
von Depressionen und Angststörungen betroffenen Menschen eher wenig fit
ist, ist unbedingt darauf zu achten, dass die Trainingsbelastung langsam
und angemessen gesteigert wird. Am besten sollte ein individueller
Trainingsplan aufgestellt werden, sofern der Betreffende nicht in einer
fachlich angeleiteten Gruppe trainiert, wo der Trainer darauf achtet.
Anderenfalls drohen Überforderungen und Verletzungen (z.B.
Ermüdungsbrüche ungeübter Knochen, Muskel- und Gelenkverletzungen!).
Eine sportmedizinische Untersuchung vor Trainingsbeginn ist auch bei
jüngeren Patienten mit Angststörungen oder Depression angezeigt, da sich
diese aufgrund ihrer psychischen Problematik tendenziell eher wenig
bewegen und daher mitunter weniger belastbar sind als Personen gleichen
Alters. Kommt es trotz aller Vorsicht zu Verletzungen, ist gemeinsam mit
dem Betroffenen zu überlegen, ob während der Rekonvaleszenz nicht andere
Formen von Bewegung genutzt werden können (z.B. Krafttraining mit
Aussparung des verletzten Körperteils).
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