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Zusätzliche
Praxisempfehlungen
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- Auch wenn noch viele Erkenntnisse
teilweise widersprüchlich erscheinen oder sich auf Tierexperimente
stützen, zweifeln „Experten“ nicht mehr am grundsätzlichen Nutzen von
Bewegungsprogrammen für Menschen mit Depressionen und Angststörungen.
In psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken ist „Sport- bzw.
Bewegungstherapie“ längst ein fester Bestandteil des
Gesamtbehandlungsplanes. Auch im ambulanten Bereich sollten den
Betroffenen vergleichbare Angebote unterbreitet werden. Hier wäre zu
prüfen, ob Sportverordnungen nicht auch bei diesen Krankheitsbildern
möglich sind, wie es z.B. „Herzsport“ oder dem Sport für Krebskranke
längst zum Alltag gehört. Einen solchen Sport könnte man als
„Regenerationssport“ bezeichnen.
- Vor allem für Ausdauer- und
Kraftsport sind günstige Effekte auf Angststörungen und Depressionen
bislang wissenschaftlich belegt. Dies heißt nicht, dass andere
Sportarten nicht weniger effektiv sein können. Kraft- und
Ausdauersport lassen sich nur besonders gut unter kontrollierten
Laborbedingungen untersuchen und erzeugen so viele wissenschaftliche
Publikationen. Bevor man einen Patienten gegen seine Neigung zu einer
„bewährten Sportart“ drängt (zu der er nicht motiviert ist), sollten
vorrangig seine sportlichen Neigungen berücksichtigt werden (sofern
solchen vorhanden sind).
- Sport und Bewegung sollten bei
Angststörungen und Depressionen möglichst nicht als einziges
Behandlungsangebot genutzt werden. Dabei beschränkt sich Sport selbst
ja auch keinesfalls auf bloße Bewegung, sondern ist immer ein
„komplexes Erlebnisangebot“. Wie die Erfolge von „Studien“ vermuten
lassen, scheint die Begleitung durch einen Fachmann oder Fachfrau und
dessen Interesse am Patienten eine wesentliche Rolle für den
Behandlungserfolg zu spielen. Als Arzt oder Trainer macht es Sinn,
diese Erkenntnis zu nutzen. Wo es möglich ist, sollten aus dem Umkreis
des Patienten auch solche ihm nahestehende Menschen einbezogen werden,
die ihrerseits den Betroffenen zu mehr Bewegung motivieren und seine
Fortschritte wertschätzen können.
- Der Erfolg einer „Sporttherapie“
hängt – wie bei allen Behandlungsmaßnahmen! – wesentlich davon ab, wie
überzeugt der Patient vom Sinn der Maßnahme ist und mit welchem Erfolg
er selbst rechnet. Daher lohnt sich der Aufwand, dem Betroffenen die
vielfältigen Wirkungen von Bewegung auf seelische Gesundheit zu
erläutern und möglichst konkrete positive Beispiele anzuführen
(Verstärkung positiver Erwartungen).
- Möglicherweise profitierten
ältere depressive oder ängstliche Menschen ganz besonders von einer
Sporttherapie. Ihnen fällt der Zuwachs an Fitness und Kraft eventuell
mehr auf als jüngeren Menschen. Dies motiviert zur Beibehaltung des
Sporttreibens, stärkt das Selbstvertrauen, erweckt Optimismus in die
Gestaltbarkeit des Lebens („Selbstwirksamkeit“) und kann gerade
älteren Menschen eine besondere Attraktivität verleihen. Je nach
Sportart werden auch soziale Kontakte gefördert und damit Gefühle von
Einsamkeit verringert.
- Zur Frage nach der
empfehlenswerten Bewegungsdosis gilt: Soweit es möglich ist, sollte
man sich täglich vermehrt bewegen. Wo dies nicht möglich ist, kann man
sich im Hinblick auf die „wöchentliche Gesamtdosis“ an den offiziellen
Empfehlungen für „Gesundheitssport“ orientieren (wenigstens drei- bis
fünfmal pro Woche 30 bis 60 Minuten „Training“, das zu zwei Dritteln
aus Ausdauerelementen und zu einem Drittel aus Kraftelementen bestehen
sollte, inklusive Dehnübungen). Ungeübte sollten mit deutlich
geringerem Pensum einsteigen, wobei dieses dann schrittweise
gesteigert wird. Mehrere Studien sprechen für einen
Dosis-Wirkungs-Effekt, demzufolge intensiveres Training (insbesondere
Krafttraining) nicht nur die Fitness erhöht, sondern auch Angst und
Depression deutlicher verringern kann als weniger intensives Training.
Bei der oberen Dosis sind Grenzen gesetzt, da sonst ein Übertraining
droht, das einer Depression ähneln kann.
- Die Anwendung von Antidepressiva
(die ja oft auch gegen Ängste wirken) schließt, wie viele Studien
zeigen, gleichzeitigen Sport nicht aus. Vielmehr scheint Bewegung den
günstigen Einfluss von Antidepressiva auf die Zellneubildung im Gehirn
zumindest im Tierexperiment sogar zu verstärken. Riskante Sportarten,
bei denen Antidepressiva das Reaktionsvermögen beeinträchtigen können,
sollten insbesondere depressive Menschen ohnehin nicht ausüben
(mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Verlangsamung, Suizidgefahr!).
- Vermehrte bzw. tägliche Bewegung
sollte allein schon aus allgemein gesundheitlichen Gründen lebenslang
auch dann fortgeführt werden, wenn eine Angststörung oder Depression
abgeklungen ist. Bei Depressionen ist es heute selbstverständlich,
dass das bis dahin angewandte Antidepressivum auch nach dem
Verschwinden der Depression noch über eine gewisse Zeit als
„Erhaltungstherapie“ eingenommen wird (bei wiederkehrenden
Depressionen mitunter sogar auf Dauer, dann spricht man von
„Langzeittherapie“). Auch diese Überlegung spricht dafür, nach der
„Heilung“ mit Sport fortzufahren. Sollte es zu einem Rückfall kommen,
kann man davon ausgehen, dass das, was einmal gewirkt hat, vermutlich
erneut greifen wird.
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