Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Einfluss von Sport und Bewegung auf Depressionen


Anders als bei den Angststörungen gibt es neuerdings zur Frage, ob man Bewegung bei Depressionen einsetzen soll, bereits mehrere offizielle Empfehlungen. So heißt es in der im Dezember 2009 veröffentlichen S3-Leitlinie / Nationale Versorgungsleitlinie zur Unipolaren Depression „Körperliches Training kann aus klinischer Erfahrung heraus empfohlen werden, um das Wohlbefinden zu steigern und depressive Symptome zu lindern.“( S. 143) Diese Empfehlung hat den Rang eines KKP (= Klinischen Konsenspunktes). Ähnlich heißt es in den im Oktober 2010 von der American Psychiatric Association (APA) veröffentlichten Practice Guidelines for the Treatment of Patients with Major Depressive Disorder (Third Edition): „Data generally support at least a modest improvement in mood symptoms for patients with major depressive disorder who engage in aerobic exercise or resistance training. Regular exercise may also reduce the prevalence of depressive symptoms in the general population, with specific benefit found in older adults and individuals with co-occuring medical problems.“ (S. 27). Die von der APA angesprochene Datenlage wurde ebenfalls 2010 von der Cochrane Collaboration analysiert, wobei sich die Wissenschaftler auf ein Ausgangsmaterial von mittlerweile schon 144 einschlägigen Veröffentlichungen stützen konnten. Ausreichenden wissenschaftlichen Kriterien entsprachen davon 23 Untersuchungen (mit 903 Teilnehmern). Fasst man diese zusammen, errechnet sich eine deutliche klinische Wirkung des Sporttreibens (SMD = -0.82) auf Depressionen. Beschränkt man sich allerdings auf die verbleibenden 3 wissenschaftlich hoch anspruchsvollen Studien (216 Teilnehmer) findet sich nur noch ein mäßiger Effekt (SMD = -0.42). Weitere Teilauswertungen der Cochrane Collaboration ergaben: 1. Sport wirkt bei Depressionen vergleichbar gut wie kognitive Verhaltenstherapie (6 Studien, 152 Teilnehmer). 2. Sport wirkt vergleichbar wie Antidepressiva (2 Studien, 201 Teilnehmer). 3. Der Effekt aeroben Sporttreibens auf Depressionen ist mäßig, aber wahrscheinlicher. Der Effekt von Krafttraining auf Depressionen erscheint stark, dafür aber weniger gesichert. 4. Vier von acht Studien sprechen für einen Zusammenhang von Fitnessgrad und Depressivität. Im Folgenden sollen beispielhaft drei typische Studien kurz skizziert und kommentiert werden.

Die möglicherweise bekannteste Studie stammt von Blumenthal und Mitarbeitern (1999). An ihr beteiligten sich 156 Patienten im Alter von 50 bis 77 Jahren mit einer „Major Depression“ (Durchschnitt: 57 Jahre). Die Teilnehmer erhielten eine 16-wöchige Behandlung mit entweder nur Lauftraining (3mal wöchentlich 45 Minuten, davon 10 Minuten Warm up, 5 Minuten Cool down), nur täglich bis zu 200 mg Sertralin (durchschnittlich 100 mg) oder eine Kombination aus beidem. Unter diesem Vorgehen verbesserte sich der Depressionsscore der Patienten (Selbstbeurteilung nach BDI) in diesem Zeitraum in allen drei Behandlungsgruppen eindrucksvoll und durchweg um mehr als die Hälfte. Kritisch lässt sich jedoch zur Methodik einwenden: 1. Da es keine Placebo-Kontrollgruppe gab, bleibt unklar in welchem Ausmaß auch eine von den Behandlungen unabhängige Spontanerholung eine Rolle spielte. 2. Es handelte sich durchweg um sehr zum Sporttreiben motivierte Patienten. 3. Da es sich um ein Gruppentraining handelte, könnten auch soziale Effekte wesentlich zur Besserung beigetragen haben.

Interessant ist auch die Fortführung dieser Studie durch die gleiche Forschergruppe (Babyak u. a. 2000). Allen Studienteilnehmern, die im ersten Teil „depressionsfrei“ geworden waren, wurden eingeladen, nach eigenen Bedürfnissen die Behandlung fortzusetzen und ggf. die Behandlungsmethode zu wechseln. Sechs Monate später zeigte sich, dass in der weiterhin Sport treibenden Gruppe mit Abstand die geringste Rückfallquote zu verzeichnen war. Von den Sporttreibenden wechselten auch die wenigsten Personen (nur 7 Prozent) zu einer anderen Behandlungsvariante. Regelmäßiges aerobes Sporttreiben war (unabhängig von einer Medikamenteneinnahme) hoch signifikant (p < 0.0009) mit geringerer Depressivität verbunden. Zusätzliches Sporttreiben (auch außerhalb von Gruppen!) verringerte das Risiko, erneut depressiv zu werden (beurteilt anhand der Odds Ratio), pro 50 Minuten jeweils um 50 Prozent. Da in der Folgestudie ein großer Teil des Sporttreibens außerhalb von Gruppen stattfand, konnten hier soziale Effekte keine so großen Beitrag mehr leisten. Die Tatsache, dass Sporttreiben als Teil einer Kombinationstherapie keinen vergleichbaren prophylaktischen Effekt entfaltete, erklären sich die Studienautoren damit, dass die betreffenden Patienten den Behandlungserfolg nicht ausschließlich ihrer eigenen Leistung, sondern auch dem Medikament zuschrieben und daher weniger Selbstvertrauen entwickeln konnten.

Der Frage „Wie viel Sport wirkt antidepressiv?“ gingen Dunn und Mitarbeiter (2005) in einer Studie an 80 Teilnehmern (Alter: 20-45 Jahre) nach. Diese litten an einer leichten bis mittelschweren Major Depressive Disorder. Zwei Gruppen trainierten 12 Wochen lang unter Aufsicht drei- bzw. fünf Mal pro Woche auf einem Laufband oder Fahrradergometer, wobei sie je nach Gruppe 7,0 (LD) bzw. 15,5 (PHD) kcal/kg/W pro Training verbrauchen sollten. Eine dritte Gruppe diente als Kontrolle und machte drei Mal wöchentlich Dehnungsübungen. Der Erfolg wurde anhand der Hamilton Depressionsskala beurteilt. Es zeigte sich, dass der Depressionswert in allen drei Gruppen sank. Aber nur der höhere Kalorienumsatz wirkte im Vergleich zur Kontrollgruppe wie zur Gruppe mit niedrigerem Kalorienumsatz stärker antidepressiv. Die höhere „Sportdosis“ entspricht dem für Gesundheitszwecke empfohlenen öffentlich empfohlenen wöchentlichen Sportpensum. Bezogen auf die gleiche Wochengesamtdosis machte es keinen Unterschied, ob diese auf drei oder fünf Trainingseinheiten verteilt wurde.

Überwiegend ernüchternd fällt eine weitere Studie von Blumenthal und Mitarbeitern (2007) aus, diesmal an 202 depressive Teilnehmern (Durchschnittsalter: 53 Jahre). Diese unterzogen sich aufgeteilt in vier Gruppen 16 Wochen lang entweder einem 45-minütigen Training (10 Min. Warmup + 30 Min. Laufband +und 5 Min. Cooldown) entweder (a) allein oder (b) in einer Gruppe (supervidiert) oder (c) sie erhielten 50-200 mg Sertralin bzw. (d) Placebo. Wie die Abbildung zeigt, besserte sich zwar in allen drei Gruppen der Depressionsscore teilweise so weit, dass die Kriterien einer MDD nicht erfüllt waren (a: 40 %, b: 45 %, c: 47 %, d: 31 %). Im Vergleich zur Placebogruppe erzielten die drei anderen Gruppen aber kein signifikant besseres Ergebnis. Dagegen besserte sich die Belastbarkeit in den beiden Trainingsgruppen im Vergleich zur Placebogruppe signifikant.

Eine Studie von Dimeo und Mitarbeitern (2001) an 12 Patienten mit Major Depression (12-96 Monate) verdeutlicht, wie schnell sich depressive Symptome unter einem Bewegungsprogramm bessern können (10-tägiges 30-minütiges Intervallgehen auf Laufband). Die Intervention verringerte hoch signifikant die per Fremdbeurteilung (HAMD) erhobenen Depressionswerte (p = 0,002), entsprechendes galt auch für die Selbstbeurteilung (P = 0,006). Außerdem wird die individuelle Streuung hier gut veranschaulicht.

Als letzte Interventionsstudie, diesmal zum Themenbereich Kraftsport bei Depression, sei beispielhaft auf eine Untersuchung von Singh und Mitarbeitern (2005) eingegangen. Sie schloss 60 depressive Teilnehmer im Alter über 60 Jahre (60 – 85 Jahre) ein. Diese wurden randomisiert drei Interventionsformen zugeteilt: (a) einem Krafttraining mit 80 % bzw. (b) mit 20 % der jeweiligen Maximalkraft bzw. (c) der üblichen Behandlung beim Hausarzt. In den sportlich aktiven Gruppen wurde 8 Wochen lang 3 Mal pro Woche trainiert (jeweils 1 Stunde Krafttraining + 5 Min. Stretching). Es erfolgten jeweils 3 Sets mit 8 Wiederholungen auf verschiedenen Geräten. Bei den intensiv Trainierenden war die Rate jener deutlicher höher, bei denen sich der HRDS-(Depressions)Score halbierte (61 Prozent) als bei den leicht Trainierenden (29 Prozent) oder der Hausarztgruppe (21 Prozent). Zwischen Kraftzuwachs und Rückgang der Depressivität fand sich ein linearer Zusammenhang („Dosis-Wirkungs-Beziehung“). Soziale Effekte schienen also keine wesentliche Rolle zu spielen. Bei den intensiv Trainierenden spielte es für den antidepressiven Erfolg auch keine Rolle, wie stark oder schwach sie von ihrem Training ein positives Ergebnis auf die Depression erwartet hatten. Dagegen war ein solcher „Placebo-Effekt“ in der leicht trainierenden Gruppe nachzuweisen: Je mehr ein Teilnehmer einen antidepressiven Effekt erwartet hatte, umso deutlicher fiel dieser auch trotz der geringen Traingsbelastung aus.

Als erstes Zwischenfazit lässt sich festhalten: Günstige Effekte von Bewegung und Depression auf Angsterkrankungen und Depressionen sind nachweislich bislang erst in wissenschaftlich begleiteten prospektiven Studien zu registrieren. Es ist daher nicht auszuschließen, dass Rahmenbedingungen des Sporttreibens wesentlich zu den beobachtbaren Effekten beigetragen haben (wie vermehrte Aufmerksamkeit, häufigere Kontakte, soziale Impulse, eigene Erwartungen und Einstellungen der Teilnehmer zum Effekt des Sporttreibens). Sporttreiben alleine und entgegen eigener Überzeugungen zu betreiben, dürfte vermutlich weitaus weniger günstige psychische Effekte erzielen.   Weiter