Nicht nur
Schürfwunden, auch seelische Verletzungen wollen versorgt werden. Getreu
der Frage „Was fehlt Ihnen?“ heilt man schneller, wenn man seine
Fähigkeiten, Möglichkeiten und Lebensräume erweitert (insbesondere
durch neue Erfahrungen), also „Fehlendes“ hinzufügt, statt auf das
Verschwinden von Symptomen zu warten oder sich in deren Bekämpfung zu
verausgaben (zumal Symptome oft die wichtige Aufgabe haben, auf noch
ungelebte Bedürfnisse/Selbstverwirklichung hinzuweisen). Bildhaftes
Beispiel: Wenn man Pflanzen so behandeln würde, wie man oft Menschen
behandelt, würden die Pflanzen eingehen: Man kann nicht jeden Tag
herumgehen und Zweige abschneiden. Oder mit einem anderen Begriff
beschrieben: Es gilt, nicht frei von etwas (z.B. Angst), sondern
frei trotz dieser Probleme zu werden (Freiheit zu etwas, statt
Freiheit von etwas). Therapeuten sollten daher ihren Patienten immer
möglichst Wahlmöglichkeiten aufzeigen. Psychotherapie erforscht die
Organisation von Erfahrungen und fördert deren Veränderung (Verflüssigung)
bzw. vermittelt neue Einstellungen zu diesen Gegebenheiten. Viele Menschen
sind „fixiert“, wozu die Grenzen unserer Sprache (Metaphern, Kultur)
beitragen, und blockieren dadurch den Fluss ihres (Er)Lebens. Meist fällt
es ihnen auch schwer, bei ihren momentanen Erfahrungen (Selbstwahrnehmung,
Gefühlen, Felt-sense) zu verweilen. Bei ihnen hat die (Selbst)Kontrolle
derart überhand genommen, dass sie ihre Impulse kaum noch leben. Sie haben
den Fuß ständig auf dem Bremspedal. Irgendwann haben sich selbst
bestätigende (aufrechterhaltende) Spiralen (Endlosschleifen)
eingeschliffen (am ausgeprägtesten in Form von Zwängen). Handeln „als ob“
die Lösung schon eingetreten wäre („Wunderfrage“), eröffnet gerade solchen
Menschen neue Erfahrungsmöglichkeiten. Veränderungen erfolgen oft
leichter durch „Wachheit“ als durch Anstrengung (die nur das
„Hintergrundrauschen“ verstärkt).
Die Feststellung
körperorientierter Ärzte „Ihnen fehlt (körperlich) nichts“ kann
fehlleiten, da vielleicht etwas anderes „fehlt“. Nach Ansicht des
Philosophen Platon wurde der Mensch am Beginn der Schöpfung in zwei
Hälften geteilt, die sich ihr Leben lang suchen (ähnlich den mütterlichen
und väterlichen Chromosomen in unserer Erbsubstanz). Der noch unbekannten
Hälfte (dem „Schatten“) ist der Therapeut gleichsam verpflichtet.
Leben und Gesundheit sind gleichbedeutend mit ständiger Entwicklung,
Spontaneität und Kontakt (Resonanz) zur Welt (der im Kranksein
oft eingeschränkt ist). „Expressivität“ fördert den Kontakt. Dabei
geht es nicht um das Mitteilen von Informationen, sondern um „bewegende
Erzählungen“. Auch Psychotherapie ist in erster Linie ein
zwischenmenschliches (bewegendes) Geschehen. Ihre Elemente (Motivation,
Konzentration und Feedback) können „Flow“ und damit
Glückserlebnisse vermitteln. Neue Strukturen überlagern ältere, die
weiterhin verfügbar bleiben bzw. im Hintergrund wirken. Menschen entwerfen
ständig sich selbst und ähneln daher mehr einem Prozess als einer fixen
Struktur. Ähnlich „geschehen“ auch Affekte und Motivationen ständig in
Systemen, wo sie als soziale Angelegenheiten in der Beziehung
reguliert werden und deshalb keine persönliche Angelegenheit bleiben.
Erfolgreiche Psychotherapie macht Menschen zusätzliche Möglichkeiten des
Erlebens (Denkens und Fühlens) sowie des Verhaltens und der Körperlichkeit
(Muskelentspannung, Blutdrucksenkung) verfügbar (Therapeutischer
Imperativ: „Handele so, dass die Zahl der Möglichkeiten Deiner Klienten
zunimmt“ = Optionen an den Barrieren schaffen. (Oder nach Perls:
Lernen ist die Entdeckung – das Zulassen? - des Möglichen). Leider
sind Schulen eher „Anpassungsschmieden“ (Dressurorte, „Ent-ziehungsanstalten“)
als Stätten, die Möglichkeitsdenken entwickeln.
Leiden ist oft ein
Mangel an Alternativen. Bestätigung fördert mitunter Stagnation.
Akzeptanz erleichtert es dagegen dem anderen, sich nicht ständig schützen
(„Widerstand leisten“) zu müssen. Jetzt kann er sich verändern.
Lehrer und Therapeuten sollten diesbezüglich wie Katalysatoren (Facilitatoren)
wirken. Hilfreich ist mitunter folgender Vergleich: „Wer als Werkzeug nur
einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus“ (Maslow).
Ein Therapeut ist wie ein Architekt, der versucht, den Wünschen seiner
Auftraggeber eine fassbare Gestalt zu geben und so zu ihrer Verwirklichung
beizutragen. Behandler sollten nie die Richtigkeit ihrer zugrunde gelegten
Therapien beweisen wollen (was Experimente und Studien meist tun), sondern
sich an den Bedürfnissen der Patienten orientieren (Laotse: „Der beste
Führer ist der, der folgen kann“). Dabei gilt es, dem Erzähler und
nicht seinen Berichten zu folgen, also auch bei den momentanen
Erfahrungen zu bleiben und immer wieder den Bezug dazu herzustellen (siehe
die Anekdote vom Schmuggler mit den Sandkarren). Es gilt Fragen zu
stellen, die uns bewegen. Nichts spricht dagegen - ähnlich wie das
bergab fließende Wasser - den leichtesten und nicht den kürzesten Weg oder
den beschwerlichsten zu wählen (Prinzip der minimalen Anstrengung).
Therapeuten bieten an und Patienten wählen das für sie Nützliche
(„Passende“) aus (sie passen sich nicht den Möglichkeiten und
Vorstellungen des Therapeuten an - „Ungehorsam“ (= Erhalt von Freiheit)
ist also zulässig und erwünscht, allerdings verbleibt auch die
Verantwortung beim Patienten). Patienten sollten wissen, daß sie nicht aus
Höflichkeit bei den Worten des Therapeuten verweilen müssen, sondern den
Fluss ihres Erlebens weiter zulassen dürfen. Schnelle Antworten
verhindern oft mehr, als das Zulassen von Gefühl und Bedeutung ermöglichen
würde. |