Her
Getrenntheit
ist eine der größten Illusionen. Deshalb ist auch die Trennung von
Körper und Seele künstlich (eine menschliche Konstruktion bzw.
Unterscheidung), ebenso wie die zwischen Person und Umwelt. Sie verkennt,
dass alle seelischen Vorgänge von körperlichen Prozessen begleitet sind
und umgekehrt (bzw. noch besser ausgedrückt: dass sie mit diesen eine
untrennbare Einheit bilden). Wir haben nicht nur einen Körper, wir sind
ein Körper. Manche geben sogar dem Körper Vorrang („Wir sind nicht,
was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun“). Diese Einstellung
stützt sich auf die Beobachtung, dass unser Gehirn schon einen
physikalisch messbaren Handlungsimpuls gibt, noch bevor wir diese Handlung
bewusst wollen (Das „Wollen“ wird dann so interpretiert, dass wir eine
erfolgte Handlung unserer Person zuschreiben). Oft nicken wir mit dem Kopf
oder schütteln ihn, obwohl wir noch gar nichts „denken“ bzw. anschließend
das Gegenteil sagen. Möglicherweise verhilft uns erst Selbstkontrolle
(warten zu können) zur Beherrschung unserer Impulse (macht uns so zu
bewussten Wesen). Man könnte auch davon sprechen, dass wir unsere
biologischen Verhaltensdispositionen in Dienst nehmen. EEG-Untersuchungen
zeigen, dass wir Dinge bewerten, noch bevor wir darüber nachdenken,
und dass selbst der gezielte Versuch, Phänomene positiv zu beschreiben,
nichts an der abwertenden Reaktion des Gehirns ändert. Offenbar gibt es
ein implizites Wissen, das bereits sprachlosen Säuglingen zur Verfügung
steht und ein explizites, das auf Sprache beruht. Wie Transformatoren
(„Interfaces“) sind „wir“ in den ständigen Fluss von Eindrücken und
Ausdrücken eingebunden. Psychotherapie ist weitgehend „Nachbereitung“
(Rekonstruktion, Komplettierung) von Ereignissen, die im Augenblick ihres
Geschehens einfach nur erfolgen, um dann im Nachhinein eingeordnet
(zugeschrieben) zu werden. Alle zwischenmenschlichen Kontakte sind
chaotische Versuche, Resonanz herzustellen.
Als „Now-Erlebnisse“
(Begegnungen) bezeichnet man gelungene Kontakterfahrungen. Alles ist
psycho-somatisch, alles „moduliert“ sich (resonanzhaft) gegenseitig.
Wir können nur denken, erleben und handeln, weil körperliche Prozesse uns
dies ermöglichen. Unser Körper drückt ständig und am deutlichsten
unsere Affekte aus. Von daher sind Männer, die lieber handeln als
sprechen, besonders „affektiv“. Wir selbst – wie überhaupt die Welt – sind
ein einziger Prozess („Die Welt ist nicht, sie geschieht“).
Es ist
künstlich und verzerrend, einzelne Phänomene isoliert zu betrachten.
So drückt sich eine Depression nicht nur im Erleben aus (Leere,
Hoffnungslosigkeit usw.), sie lässt den Betroffenen auch körperlich
erstarren und seinen Mund austrocknen, außerdem äußert sie sich in
Veränderungen des Immunsystems. Wer wütend ist, dessen Blutdruck steigt,
wer Angst hat, erblasst, wer sich schämt, errötet. Wer erschrocken ist,
dem bleibt die Luft weg. „Stress“ schlägt auf den Magen. Eine ursprünglich
rein psychische Lähmung eines Armes führt zum Abbau der Muskulatur und
damit auch zu körperlicher „Lähmung“ (mit weiteren komplexen
Folgewirkungen). Ein Asthmatiker bekommt schon beim Anblick einer
Kunstblume einen asthmatischen Anfall. Sportler nutzen psychosomatische
Phänomene in Form des mentalen Trainings, das motorische Abläufe bahnt.
Anders als bei organischen Leiden ist bei „funktionellen“ das
Zusammenspiel gestört. Manches Wissen ist im Körper prozedural
gespeichert und kann nur ausgelebt (bzw. durch Agieren mitgeteilt)
werden. Vorstellungen erleichtern uns die Bewegung (z.B. die
Tai-Chi-Formel: „Zerteile die Wolken und halte den Mond“). Kommunikation
kann als Austausch von Bildern verstanden werden. In ein Phänomen (wie
Schmerzen) fließen neben biologischen auch kulturelle Einflüsse ein.
Umgekehrt kann ein körperliches Symptom im Nachhinein mit seelischen
Bedeutungen und Funktionen belegt werden. Auch in unserer Wahrnehmung
nehmen wir weniger „einzelnes“ wahr, als vielmehr „komplexe Beziehungen“,
die wir notfalls (bei Lücken) nach unseren eigenen Vorstellungen (projektiv)
„komplettieren“. In unseren Bewegungs- und Ausdrucksmustern
spiegeln sich diejenigen früherer wichtiger Bezugspersonen (bzw.
unsere kindlichen Haltungen zu diesen) wider. Atmung kann zur Gebärde
werden und in den Dienst menschlicher Kommunikation treten, indem sie
unsere innere Befindlichkeit repräsentiert. Psychische Phänomene
sind keineswegs nur innerhalb eines Menschen angesiedelt; sie können
auch aus der Interaktion zwischen Mensch und Kontext bzw. aus der
Koordination der Interaktion zwischen Menschen erklärbar und damit auch an
dieser Stelle behandelbar sein. Vieles ist nur gemeinsam möglich:
Ohne Wasser kann man nicht schwimmen, alleine kann man auf Dauer nicht so
gut fröhlich sein. |