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Zwei Jahre nach der Tsunami-Katastrophe sind die meisten physischen
Verletzungen kuriert. Viele Rückkehrer leiden aber unter Albträumen, die
körperliche und seelische Gesundheit gefährden. Ehe und Beruf sind
bedroht. Über ihre oft unvermittelt aufflackernden Erinnerungen reden
die Betroffenen selten. Mitgefühl hilft ihnen auch nicht, es kann die
Störung sogar verstärken, berichtet eine Diplom-Psychologin in der
Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme
Verlag, Stuttgart. 2006).
Viele Rückkehrer haben die Erinnerungen
an den 2. Weihnachtstag 2004 bis heute nicht verarbeitet, berichtet
Cornelia Vollath, eine Spezialistin für Psychotraumatologie an der
Universität Heidelberg. Sie leiden unter einer posttraumatischen
Belastungsstörung, die mit Schlafstörungen und psychosomatischen
Beschwerden einhergeht.
Viele wenden sich an Hausärzte und
Internisten, scheuen sich aber, mit den Medizinern über ihre Albträume
zu reden. Der Grund: Die Erinnerungen sind häufig so intensiv, dass die
Betroffenen Geräusche oder Stimmen, ja sogar Gerüche und
Körperempfindungen wahrnehmen. "Sie schweigen, weil sie Angst haben, für
verrückt erklärt zu werden", so die Diplom-Psychologin.
Die Psychologin rät den Ärzten, ihre
Patienten äußerst behutsam auf die Erinnerungen anzusprechen.
Vertiefende Fragen oder ärztliches Mitgefühl sind verboten, da sie die
Störung noch verstärken können. Sie können bei den Patienten "Flash-backs"
auslösen, fetzenhafte Erinnerungen, welche die Patienten nicht mehr
kontrollieren können. Die Schilderungen der Patienten können so intensiv
sein, sagt die Psychologin, dass andere Menschen von der
posttraumatischen Belastungsstörung "angesteckt" werden. Bedroht sind
neben den Betreuern in erster Linie die Partner. Vollath kennt den Fall
von Ehepaaren, die ein gemeinsames Kind verloren haben: Nicht selten
belasten sich die Eltern durch ihre Erinnerungen gegenseitig so sehr,
dass die Ehe zerbricht.
Zu den Folgen des posttraumatischen
Belastungssyndroms gehören laut Vollath auch Schwierigkeiten im Alltag
oder am Arbeitsplatz. Es komme zum Alkoholmissbrauch oder zu dauerhafter
Persönlichkeitsänderung. Menschen, denen die Flutwellen Angehörige
entrissen haben, entwickeln häufig eine Unfähigkeit zur Trauer.
Die Therapie besteht aus drei Phasen: Im
ersten Schritt, Psychoedukation genannt, machen die Psychologen den
Patienten klar, dass ihre Albträume ein Versuch des Gehirns sind, einen
Zustand von Übererregung zu verarbeiten. Im zweiten Schritt, der
Stabilisierung, lernen die Patienten, wie sie Albträume und
wiederkehrende Übererregungszustände selbst abstellen. Die Therapie ist
erfolgreich, wenn die Betroffenen im letzten Schritt, der "Traumaexposition",
gefahrlos auf den Tsunami angesprochen werden können. Vollath rät, "aus
Erinnerungsfetzen müssen wirkliche Erinnerungen werden, die als Teil der
eigenen Biographie begriffen werden".
C. C. Vollath, G. H. Seidler:
Tsunami 2004: Diagnostik von Traumafolgen in der Allgemeinarztpraxis
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2006; 131 (50): 2859-2863
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