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- In
Deutschland werden in Kliniken unnötige Labortests durchgeführt. Das
belastet nicht nur das Budget der Krankenhäuser, es kann auch zu
Folgeuntersuchungen führen, die die Patienten belasten, kritisieren
Mediziner in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische
Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2009).
Eine kurzes
Fallbeispiel zu Beginn eines Artikels in der DMW verdeutlicht, welche
Folgen eine unkritische Labordiagnostik haben kann. Eine 55-Jährige
Frau hatte sich wegen leichter Ermüdbarkeit und Verstimmungen an einen
Arzt gewandt, der ihr als Spezialist empfohlen worden war. Der
Mediziner ordnete eine umfangreiche Laboruntersuchung an. Gleich fünf
Röhrchen Blut wurden der Frau abgenommen. Weil einige Laborwerte
verdächtig waren, musste sich die Patientin in den folgenden Wochen
aufgrund eines erhöhten Gerinnungswertes einer Ultraschalluntersuchung
und wegen erhöhter Hormonwerte einer Untersuchung der Schilddrüse mit
radioaktiv markierten Stoffen unterziehen. Da man im Blut auch
verdächtige Tumormarker fand, ordnete der Arzt zudem eine
Darmspiegelung an. Gefunden wurde nichts. Die Patientin war nicht
ernsthaft krank. Außer einem leichten Vitaminmangel fehlte ihr nichts.
Gegen die Schlafstörungen empfahl der Arzt ihr schließlich
Baldrian-Tee. Die zwischenzeitliche Verunsicherung der Patientin und
Untersuchungskosten von 1856 Euro hätten nach Einschätzung der Autoren
Professor Dr. Walter Guder und Professor Dr. Otto A. Müller, beide
München, vermieden werden können, wenn der Arzt auf einige unnötige
Labortests verzichtet hätte.
Ein Einzelfall?
Eher nicht. Die Zahl der pro Krankenhausaufenthalt durchgeführten
Laboruntersuchungen hat sich in den letzten 40 Jahren mehr als
verzehnfacht. Bei jedem Krankenhauspatienten wurden 2007 im
Durchschnitt 180 Tests durchgeführt, meint der Experte Guder, Mitglied
der Arbeitsgruppe "Diagnostische Pfade" der Deutschen Vereinten
Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, die Gründe
für unnötige Labortests erforscht. Zu den häufigen Fehlern zählen laut
Guder und Müller ein Beharren auf eigenen bewährten Erfahrungen. Nach
dem Motto "Das haben wir schon immer so gemacht" würden
althergebrachte Tests durchgeführt, obwohl es längst neuere bessere
Tests gibt. Statt auf einen alten Test zu verzichten, würden häufig
beide Tests vom Labor angefordert.
Oft sind es
Zeitdruck oder mangelnde Organisation, die Ärzte zu unbedachten Tests
verleiten. Da kann es schon einmal passieren, dass, wie die Autoren
aus langjähriger Erfahrung wissen, in einer Klinik versehentlich für
alle Patienten über 50 Jahre, egal ob männlich oder weiblich,
Früherkennungstests auf das Prostatakarzinom durchgeführt werden, der
bei Frauen natürlich keinen Sinn macht. Auch die Angst vor einem
Kunstfehler veranlasst Ärzte manchmal dazu, sich durch Labortests
abzusichern. Sie wirken vor Gericht überzeugender als eine gezielte
Befragung der Patienten, die so manchen Test überflüssig mache, wie
die Mediziner betonen.
Im Klinikalltag
passiere es nicht selten, dass derselbe Test zweimal am gleichen Tag
durchgeführt wird. Auch viele Kontrolluntersuchungen seien
überflüssig. So benötige ein Diabetiker kein Gerät zur
Blutzucker-Selbstmessung, solange er mit Tabletten auskomme und kein
Insulin spritzt. Und der HbA1c-Wert zur Langzeitkontrolle des
Blutzuckers sollte frühestens nach drei Monaten wiederholt werden.
Guder und Müller kennen Fälle, in denen die Tests wöchentlich oder
sogar zweitägig durchgeführt wurden.
Auch die Bedeutung
von Tumormarkern – Blutbestandteilen, die bei Krebserkrankungen erhöht
sein können – wird nach Einschätzung der Autoren überschätzt. Ein
"Krebstest an sich" existiere nicht. Einzige Ausnahme sei der PSA-Test
zur Früherkennung des Prostatakarzinoms. Alle anderen Tumormarker
eignen sich nach Auskunft des Experten nur zur Verlaufskontrolle bei
bereits bekannten Krebserkrankungen.
Leitlinien sind
ein Mittel um unnötige Laboruntersuchungen zu vermeiden und Kosten zu
sparen, so die Experten. Er warnt aber zugleich vor zu großem
Optimismus: Die Gesamtzahl der Laboruntersuchungen werde in den
nächsten Jahren weiter steigen, ebenso die Kosten. Neue Tests seien in
der Regel teurer als die älteren, die sie ersetzen.
W. G. Guder, O. A.
Müller:
Unnötige Laboruntersuchungen.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2009; 134 (12): S. 575-584