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Als ob wir keine Literatur-Datenbanken hätten, in denen man auf
frühere Befunde zurückgreifen könnte, hat jetzt die Deutsche
Psychoanalytische Vereinigung ein Memorandum zum Krippenausbau in
Deutschland vorgelegt und in einem Interview vor innerseelischen
Katastrophen gewarnt. In dem Memorandum wird behauptet, dass eine
längerfristige außerfamiliäre Betreuung relativ verheerende
körperliche und psychische Folgen habe. Ein Aufsatz in der Zeitschrift
"PPmP Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie" (Georg
Thieme Verlag, Stuttgart. 2008) relativiert hingegen diese und weitere
Aussagen mit dem Hinweis darauf, dass bereits Ende der siebziger Jahre
verschiedene Untersuchungen zu der Feststellung kamen, wonach die
Auswirkungen von Fremdbetreuungen von sehr vielen Faktoren abhängen,
wie beispielsweise der Qualität der Betreuung, dem Personalschlüssel,
der Art der Eingewöhnung in die Krippe, aber auch der Einstellung der
Eltern gegenüber der Betreuung. Europaweit liegt in Deutschland der
Anteil an krippenbetreuten Kindern im hinteren Feld. Ferner gibt es
einen linearen Zusammenhang zwischen den Geburtenraten und dem
Betreuungsangebot.
Im Zusammenhang
mit jungen ostdeutschen Erwachsenen mit Krippenerfahrung behauptet die
Deutsche Psychoanalytische Vereinigung, Trennungserfahrungen in sehr
frühem Alter würden im Körper gespeichert und tauchten in späteren
Situationen als Ängste wieder auf. Dazu ist festzustellen, dass es
bisher keinerlei empirische Evidenz dafür gibt, wonach die ostdeutsche
Sozialisation mit mehr psychischen Auffälligkeiten einherginge. Im
Gegenteil: Viele Studien nach der Wende haben gezeigt, dass die
Ostdeutschen ihre Sozialisationsbedingungen inklusive der Beziehung zu
den Eltern sehr viel positiver bewerten als Westdeutsche. Im
Bundesgesundheitssurvey zeigte sich, dass das Vorkommen psychischer
Störungen im Osten deutlich geringer ist als im Westen. In einer
Expertise für den Landtag in Nordrhein-Westfalen werden neuere Studien
zu dem Thema dahingehend zusammengefasst, dass Fremdbetreuung
keineswegs ungünstig sein muss, dass vielmehr – und dies wissen wir
seit über dreißig Jahren – viele Einflussfaktoren zu berücksichtigen
sind.
B. Strauß:
Ideologie oder Entwicklungspsychologie? Psychoanalytische Positionen
zum Krippenausbau in Deutschland.
PPmP Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 2008; 58
(2):
S. 39-40