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Auf den ersten Blick wirkt die Übung zielgerichtet und sinnvoll:
Patienten, deren eine Körperhälfte nach einem Schlaganfall geschwächt
ist, stehen mit beiden Füßen auf Kraftmessplatten, um den
symmetrischen Stand zu üben. Als Erfolg gilt es, wenn die Platten eine
gleichmäßige Belastung signalisieren, wenn also das gesunde Bein dem
geschwächten nicht die Last abnimmt. Doch obwohl das Training die
Standsymmetrie der Patienten tatsächlich verbessert – ihrem
eigentlichen Ziel, einem gleichmäßigeren Gang, bringt es sie nicht
näher. Anhand dieser und anderer Beobachtungen schildert Martin Huber
in der Fachzeitschrift "physiopraxis" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
2008) die so genannte Transferproblematik, die dann auftritt, wenn
physiotherapeutische Übungen sich nicht direkt auf Alltagssituationen
im Leben des Patienten übertragen lassen.
"Für den
Transfererfolg ist vor allem die Ähnlichkeit der motorischen Abläufe
und der zugrunde liegenden neuronalen Prozesse entscheidend", erklärt
Huber, der als Physiotherapeut praktiziert, unterrichtet und vor
kurzem den Master of Science in Neurorehabilitation erworben hat.
Einer anerkannten Theorie zufolge bestehen zwischen völlig
verschiedenen Aufgabenklassen keinerlei Wechselwirkungen. Ist der
Übungsablauf dagegen identisch mit der Zielbewegung, gelingt der
Transfer am besten. Liegt die Situation zwischen diesen beiden
Extremen – ist also die Übung dem angestrebten Bewegungsablauf nur
leicht ähnlich– , kann es kurioserweise auch zu negativen
Wechselwirkungen kommen. Das motorische System des Patienten ist quasi
verwirrt und versucht, unpassende Bewegungskomponenten in die neue
Aufgabensituation zu übernehmen.
Diese drei
Tranfersituationen illustriert Huber am Beispiel von Kindern, die
Fahrrad fahren lernen. Kinder, die zuvor mit dem Laufrad geübt haben,
kommen mit dem Fahrrad meist schneller und leichter zurecht als
Kinder, die zunächst mit Stützrädern Fahrrad gefahren sind. Denn mit
dem Laufrad trainieren die Kinder genau die Gewichtsverlagerung, die
sie beim Fahrradfahren brauchen. Stützräder dagegen behindern manche
fahrradtypischen Bewegungen eher, als sie zu fördern – etwa beim
Fahren von Kurven, wenn das innere Stützrad das "In-die-Kurve-Legen"
blockiert.
Was bedeutet das
nun für die Physiotherapie? Martin Huber plädiert dafür, mit den
Patienten weniger auf der Behandlungsbank zu üben und stattdessen
funktionelle, alltagsnahe Übungen zu wählen. "Das kann beispielsweise
heißen: Raus aus den Therapieräumen und rein ins Patientenzimmer, ins
Freie und, wenn möglich, in konkrete Alltagssituationen", so der
erfahrene Therapeut. Die Therapie sollte vor allem von konkreten
Aktivitäten geprägt sein; nur wenn es nötig sei, sollte der Therapeut
vorbereitend auf den Ebenen der Körperfunktion oder der Körperstruktur
arbeiten – etwa um zunächst Kraft aufzubauen oder Gelenke zu
mobilisieren. Vor allem traditionelle Behandlungsansätze haben dem
Problem des Transfers erlernter Fähigkeiten wenig Beachtung geschenkt,
weiß Huber. Seiner Ansicht nach lohnt es sich aber durchaus, den
eigenen therapeutischen Alltag unter dem Transfergesichtspunkt
kritisch zu hinterfragen.
M. Huber:
Das Richtige üben Transfer motorischer Fertigkeiten
physiopraxis 2008; 4: Seite 28-31