fzm - Deutschland ist weltweit Spitzenreiter
bei Arztbesuchen und in der Apotheken-Dichte. Für viele ist dies die
Folge einer verfehlten Gesundheitspolitik. Psychosomatiker wie
Universitätsdozent Gernot Langs, Bad Bramstedt, haben eine weitere
Erklärung. Für sie ist Deutschland auch das Land der "eingebildeten
Kranken". Bundesweit acht bis zehn Prozent der Bevölkerung leiden unter
einer Hypochondrie, behauptet Dr. Langs gegenüber der DMW Deutsche
Medizinische Wochenschrift (Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 2004).
Menschen mit Hypochondrie leben über Monate
und Jahre in der Sorge, möglicherweise an einer schleichenden Erkrankung
wie Krebs, Multipler Sklerose oder anderem zu leiden. Häufige
Arztbesuche und der gute Umsatz des Apothekers seien die Folge eines "Checking
Behavior" dieser Menschen, ihrer ständigen Suche nach einer Erklärung
für ihre Beschwerden. Diese mögen leichter Natur sein. "Dennoch leiden
viele Hypochondrie-Patienten weitaus mehr als mancher körperlich
Kranke", erklärt Dr. Langs. Der Experte rät den Ärzten die Beschwerden
ernst zu nehmen. Nicht als Zeichen einer körperlichen Erkrankung,
sondern als Folge eines psychischen Leidenswegs, der häufig in der
Kindheit beginnt. "Viele Hypochonder sind überbehütet worden. Andere
haben schwere Krankheiten erlebt oder den Verlust von Angehörigen nicht
verkraftet", so Dr. Langs. Die Folge ist in der Terminologie der
Psychologen eine "dysfunktionale Kognition", zu Deutsch etwa der
Irrglauben, nur dann körperlich gesund zu sein, wenn sie frei von
jeglichen Beschwerden sind.
Die Therapie besteht laut Dr. Langs
zunächst nicht etwa in dem Verbot von Arztbesuchen: Die Ärzte sollten
den Betroffenen zeitlich begrenzt Termine verschreiben. Diese müssten
Arzt und Patient einhalten. Rufe der Patient zwischendurch an, könne der
Arzt darauf verweisen. Allmählich müsse der Arzt "alternative
Erklärungsmodelle" für die Beschwerden anbieten. Später werde ein
gezielter Umgang mit der Angst eingeübt. Die Therapie sei sehr
langwierig: "Denn was ein Leben lang gelebt wurde, lässt sich nicht
mühelos beiseite schieben", meint Langs.
H. Kaulen:
Hypochondrie: eine verkannte Epidemie? Deutsche
Medizinische Wochenschrift 2004; 129 (34/35): 1785
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