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Bei der Erörterung von Beziehungen zwischen Gehirn und Geist sind zwei
Dinge bemerkenswert, einmal die Tatsache, dass Materie Geist
hervorbringen kann, zum anderen die Frage, in wieweit geistige
Prozesse auf materielle Vorgänge reduziert werden können. Mit der
Aussage, Gehirn und Geist seien zwei Seiten ein und derselben
Medaille, kann man diese Diskussion zwar schnell beenden, sie
beantwortet aber nicht die Frage, wie man sich die Interaktion
vorzustellen habe. Ein Aufsatz in der Zeitschrift "PiD Psychotherapie
im Dialog" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2007) zeigt am Beispiel
der Borderline-Persönlichkeitsstörung, welche Hirnareale dabei
Veränderungen unterliegen und welche materiellen Substanzen, sprich
Überträgerstoffe oder Neurotransmitter, daran beteiligt sind. Die
Krankheit ist gekennzeichnet durch Impulsivität und emotionale
Instabilität. Hinzu tritt selbstverletzendes Verhalten.
Jüngste
Forschungen konnten neurobiologische Korrelate identifizieren, die
hier nur stark vergröbert dargestellt werden können. Sie finden sich
in Strukturen des Regelkreises der Regulation von Emotionen, an dem
zum einen das limbische System, das als Netzwerk weite Teile des
Gehirns durchzieht, und zum anderen das Stirnhirn und benachbarte
Areale beteiligt sind. Zur Erklärung: Das limbische System
repräsentiert die emotionelle Seite des Menschen und steuert gemeinsam
mit dem Stirnhirn das Verhalten. Hier entstehen beispielsweise
positive und negative Gefühle, Wohlbefinden und Unzufriedenheit, Angst
und Sicherheitsgefühl. Es pflegt engste Kommunikation mit dem für
rationales Denken zuständigen Stirnhirn, das auch unsere Emotionen und
Handlungen kontrolliert. Als zentrale Struktur des limbischen Systems
wird der Mandelkern (Amygdala) angesehen, der schnelle emotionale und
Verhaltens-Reaktionen bereitstellt. Die Aktivität des Mandelkerns ist
auf die Darbietung emotionaler Reize hin gesteigert. Gewisse Areale
des Stirnhirns und andere können durch eine regulierende, steuernde
oder kontrollierende Funktion zu einer Dämpfung der Aktivität des
Mandelkerns führen. Die Volumina sowohl des Mandelkerns als auch des
Hippocampus, ein weiterer wichtiger "Mitarbeiter" im limbischen
System, sind bei sexuell und körperlich traumatisierten
Borderline-Patientinnen vermindert.
Auch die zweite
eingangs gestellte Frage, in wieweit geistige Prozesse auf materielle
Vorgänge reduziert werden können, lässt sich anhand von Untersuchungen
an Borderline-Patientinnen beantworten. Ein zweites Kennzeichen der
Krankheit sind Impulsivität und selbstverletzendes Verhalten. Hier hat
man neuerdings eine Fehlfunktion des Serotonin-Systems im Gehirn bei
der Borderline-Krankheit gefunden (Serotonin zählt zu den
Überträgerstoffen). Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen
Serotoninstoffwechsel im Vorderhirn und impulsiv-aggressivem Verhalten
bei der Borderline-Krankheit. Diese und viele weitere Befunde können
erhebliche therapeutische Relevanz erlangen.
S. C. Herpertz:
Neurobiologie und Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Psychotherapie im Dialog 2007; 8 (4);
S. 342-346