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Während man früher recht grobe Funktionskarten des Gehirns entworfen
hat, vermittelt uns die moderne Hirnforschung recht genaue Einblicke
in die Anteile verschiedener Areale der Großhirnrinde an spezifischen
Hirnleistungen. Dabei fungiert das Stirnhirn als Kommandozentrale für
Denkprozesse (Kognition), Affektivität und soziales Verhalten, wobei
es zum Teil in einem Netzwerkverbund mit anderen Hirnanteilen
zusammenarbeitet. Zu nennen ist hier vor allem das limbische System,
das unter anderem für Emotionen und Gefühle zuständig ist und damit
ebenfalls einen großen Anteil an der Steuerung unseres Verhaltens hat.
Ein Aufsatz in der Zeitschrift "Fortschritte der Neurologie,
Psychiatrie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2008) stellt die Rolle
des Stirnhirns für die Integration von Informationen aus den
verschiedenen Sinneskanälen dar, was die Voraussetzungen für ein an
die Umwelt angepasstes Verhalten schafft. Wir finden heute eine
Unterteilung des Stirnhirns (frontaler Kortex) in funktionelle
Untereinheiten, denen relativ spezifische Funktionen bei der
Verhaltenssteuerung zukommen. Während in die Integration sämtlicher
zur Verfügung stehenden Informationen, im Sinne einer Optimierung des
Verhaltens, wohl definierte Areale involviert sind, verarbeiten andere
ausschließlich Aspekte sensorischer Informationen, die mit Motivation
und Emotion in Zusammenhang stehen. Einem dritten Bereich schließlich
kommt insbesondere eine wichtige Rolle bei der Überwachung von
Handlungsergebnissen sowie der Antriebssteuerung zu.
Die einzelnen
Funktionen des Gehirns lassen sich gut aus der Evolutionsgeschichte
dieses Organs ableiten. Für Störungsbilder, das heißt für
Funktionsstörungen, trifft dies jedoch nicht ohne weiteres zu.
Vielmehr setzt die Einsicht in mögliche Ursachen der Störungen von
Kognition, Affektivität und sozialem Verhalten, wie sie uns in der
Psychiatrie begegnen, ein grundlegendes Verständnis der normalen
Funktionen des menschlichen Gehirns voraus. Störungen der Funktionen
des Frontalhirns sind mit vielen psychiatrischen Erkrankungen in
Verbindung zu setzen. Das trifft zum Beispiel bei Depression zu. Bei
einem bestimmten Typ fand man klare Hinweise auf eine Volumenreduktion
innerhalb frontaler Areale (Hirnschrumpfung). Bei Patienten mit
solchen affektiven Störungen konnten in sämtlichen Bereichen des
Frontalhirns veränderte Aktivierungsmuster beobachtet werden. Aber
auch verschiedene Areale außerhalb des Frontalhirns weisen bei
Depressionen Veränderungen auf. Ein anderes Beispiel sind
Zwangsstörungen. Allerdings sind sie weniger auf eine Funktionsstörung
isolierter Regionen des Frontalhirns zurückzuführen, sondern müssen
vielmehr als Netzwerkstörungen begriffen werden.
O. Gruber:
Die funktionelle Organisation des frontalen Kortex, Teil I und II.
Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie 2008; 76 (1); S. 49-61 und
Nr. 3; S.172-185