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Schätzungsweise 5 bis 10 Prozent aller Menschen leiden an Depression.
Es handelt sich um eine Volkskrankheit, die jedoch zu selten erkannt
wird. Fast jede zweite Depression wird vom Hausarzt nicht als solche
identifiziert. Routinemäßige "Schnell-Screenings" sollen Abhilfe
schaffen. Wie der Mediziner Rainer Alexandrowicz in der
Fachzeitschrift "Psychiatrische Praxis" (Georg Thieme Verlag,
Stuttgart. 2008) nun berichtet, sind solche Schnell-Screenings jedoch
fehlerbehaftet und zeitaufwendig. Um depressive Störungen aufzudecken,
sollten Ärzte mehrere Screening-Verfahren miteinander kombinieren, rät
Alexandrowicz.
"Haben Sie sich
während des letzten Jahres über längere Zeiträume niedergeschlagen
oder traurig gefühlt?" Mit dieser Frage versuchen Psychiater und
Psychologen heraus zu bekommen, ob ein Mensch depressiv ist. Ein
solcher "Mini-Test", der lediglich aus einer einzigen Frage besteht,
wird Kurzscreening genannt – er dauert nicht einmal eine Minute.
Der Nachteil
dieses Verfahrens: Es lässt sich zwar zügig durchführen, weist aber
sehr viele Menschen als vermeintlich depressiv aus, die es gar nicht
sind. Methodisch gesprochen, fällt der Anteil der "falsch Positiven"
hoch aus. Damit sind jene Menschen gemeint, die der Test irrtümlich
als "depressiv" klassifiziert. Da sich alle tatsächlich oder
vermeintlich Depressiven einer weiteren diagnostischen Abklärung
unterziehen müssen, erweist sich dieses scheinbar so zeitsparende
Screening-Verfahren in Wirklichkeit als zeitraubend und ineffektiv.
Kurzscreenings,
das zeigen die statistischen Analysen von Alexandrowicz, sind
"sensitiv", aber wenig "spezifisch". Die echten Kranken lassen sich
damit zwar recht ordentlich "herausfiltern", aber nur unter
Inkaufnahme geringer Spezifität. Das heißt: Viele Menschen bekommen
das Etikett "krank", ohne es zu sein. Ein Test beispielsweise, der
einfach alle Menschen für depressiv erklärt, wäre vollkommen sensitiv,
aber überhaupt nicht spezifisch.
"Diese geringe
Spezifität bedingt vermehrt Falsch-Positive, welche einer
diagnostischen Abklärung zu unterziehen wären. Damit geht der
Zeitvorteil von Kurzscreenings verloren", so Alexandrowicz. Er
plädiert deshalb dafür, zunächst ein Kurzscreening durchzuführen und
die dadurch als "depressiv" erkannten Personen einem Langscreening zu
unterziehen. Ein Langscreening umfasst 20 bis 30 Fragen; es handelt
sich hierbei um methodisch sauber gearbeitete Depressionsfragebögen,
wie etwa die Hospital Anxiety and Depression Scale.
Die in der
Literatur berichteten Kennwerte für die "Tauglichkeit" (Validität) von
Lang- und Kurzscreenings hat Alexandrowicz miteinander verrechnet.
Würden niedergelassene Ärzte beide Verfahren kombinieren, so könnten
sie viel Zeit sparen. Die Zahl der Screening-Positiven würde halbiert
– im Vergleich zum herkömmlichen Schnellscreening. Es würde also etwas
länger dauern, so Alexandrowicz, die Depressiven per Screening zu
entdecken; dafür bekämen aber viel weniger Menschen die
Verdachtsdiagnose "Depression" verpasst. Alles zusammen genommen,
müsste der Arzt zwar mehr Screening-Bögen auswerten, aber weniger
"Kranke" behandeln. Unterm Strich eine echte Zeitersparnis.
R. Alexandrowicz
et al.:
Zur Validität eines zweistufigen Screenings am Beispiel des
Depressionsscreening.
Psychiatrische Praxis 2008; 35 (6): S. 294-301