Krebserkrankungen stellen mit über 400.000 neuen Fällen pro Jahr eine
der häufigsten lebensbedrohlichen Erkrankungen in Deutschland dar, mit
demographisch bedingt steigender Tendenz. Ein substanzieller Anteil der
Krebspatienten leidet an behandlungsbedürftigen psychosozialen
Belastungen und psychischen Störungen. Erstere werden definiert als ein
breites Spektrum unangenehmer emotionaler Erfahrungen psychischer oder
sozialer Art, die von Gefühlen der Verletzlichkeit, Traurigkeit und
Angst bis hin zu stark einschränkenden Problemen, wie Depression,
Angststörungen, Panik, sozialer Isolation und spirituellen Krisen
reichen. Leider wird jedoch diesen psychischen Störungen bisher zu wenig
Bedeutung beigemessen, etwa mit dem Argument, psychosoziale Belastungen
bei einer solch schweren Erkrankung seien normal, was mit einer
"Nicht-Behandlungsbedürftigkeit" gleichgesetzt wird – eine
Schlussfolgerung, die bei anderen Symptomen, wie beispielsweise
Schmerzen, sicher nicht gezogen würde. In der onkologischen Versorgung
wird gegenwärtig nur ein Teil dieser behandlungsbedürftigen Störungen
erkannt und angemessen behandelt. Ein Beitrag in der Zeitschrift "PPmP
Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie" (Georg Thieme
Verlag, Stuttgart) sieht einen der Gründe dafür, neben einer nicht
adäquaten Kommunikation zwischen Arzt und Patient, in ungenügendem
Wissen über mögliche psychosoziale Interventionen. Eine kanadische
Institution anerkennt psychische Belastungen als ein wichtiges Symptom,
etwa gleichrangig neben Puls, Atmung, Blutdruck oder Körpertemperatur.
Auch im deutschsprachigen Raum liegen erste Empfehlungen zur
psychosozialen Versorgung von Krebspatienten vor.
Für
die Aufdeckung psychosozialer Belastungen und Störungen empfiehlt sich
ein zweistufiges Vorgehen. Ein Screening weist bei geringem Aufwand auf
das Vorliegen beziehungsweise das Fehlen einer hohen psychischen
Belastung hin. Im positiven Falle ist für eine eindeutige klinische
Diagnose ein standardisiertes psychiatrisches Interview erforderlich.
Neben den belastenden Faktoren in der Krebsbehandlung stellen die
personalen und sozialen Ressourcen wichtige Merkmale dar, die das
Befinden und die "gesundheitsbezogene Lebensqualität" von Patienten
beeinflussen. Im Gegensatz zur Psychotherapie psychischer Störungen bei
körperlich Gesunden stellen bei psychoonkologischen Interventionen
wesentliche Ziele neben einer Besserung der Symptome vor allem die
Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung sowie Hilfen zum Leben mit
den Einschränkungen durch die Krebserkrankung dar. Nicht oder zu spät
erkannte und behandelte psychische Störungen können sich negativ auf den
gesamten Krankheitsverlauf und eine Chronifizierung der Erkrankung sowie
auf die Lebensqualität von Patienten und Angehörigen auswirken.
Die Erfassung psychosozialer Belastungen und Ressourcen in der Onkologie
– Ein Literaturüberblick zu Screeningmethoden und Entwicklungstrends.
PPmP Psychother Psych Med 2006; 56; Nr. 12;
S. 462-479
Dr. phil. Anja Mehnert, Zentrum für Psychosoziale Medizin Hamburg.
mehnert@uke.uni-hamburg.de |