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Dem
Teenager mit Magersucht (Anorexia nervosa) fehlt häufig die Einsicht,
bei der etwas älteren jungen Frau mit Ess-Brechsucht (Bulimia nervosa)
verhindern Scham und Schuldgefühle, dass sie eine Therapie beginnt.
Beiden könnte jedoch am besten geholfen werden, wenn sie frühzeitig
einen Arzt oder Psychologen aufsuchen würden, erklärt eine Expertin in
der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg
Thieme Verlag, Stuttgart. 2008).
Beiden
Erkrankungen ist gemeinsam, dass die betroffenen Frauen mit ihrer
Figur nicht zufrieden sind. Das ist im Jugendalter nicht ungewöhnlich.
Viele Heranwachsende machen eine Diät. Warum Frauen mit Anorexia
nervosa sie bis zum Exzess treiben, kann Dr. Tanja Legenbauer von der
LWL-Klinik Dortmund auch nicht erklären. Gene, Hormone, Medien und
familiäre Einflüsse: Viele Faktoren kommen zusammen, wenn Frauen sich
einem rigiden Figurdiktat unterwerfen und hungern, obwohl alle Welt
sehen kann, dass sie bereits viel zu dünn sind, nur sie selbst nicht.
Die Diplom-Psychologin Legenbauer spricht von einer
"Körperbildstörung". Sie liegt auch bei der Bulimia nervosa vor.
Während Magersüchtige die Diät konsequent betreiben, kommt es hier
regelmäßig zu einem Kontrollverlust. In den Heißhungeranfällen werden
innerhalb kurzer Zeit große Mahlzeiten verschlungen – und danach
wieder erbrochen. Die Essstörungen halten viele Jahre an. Dr.
Legenbauer schätzt, dass die Hälfte der Frauen mit Bulimia nervosa die
Essstörung nach fünf Jahren überwindet. Eine Anorexie kann 20 Jahre
oder länger dauern. Viele Frauen entwickeln Folgeschäden. Besonders
gefürchtet ist ein Knochenschwund bei der Anorexia nervosa. Bei der
Bulimia nervosa kann das häufige Erbrechen den Zahnschmelz zerstören.
Bei rechtzeitiger
Therapie kann diesen Frauen heute geholfen werden, sagt die
praktizierende Psychotherapeutin Legenbauer, Autorin mehrerer
Fachbücher zur kognitiven Verhaltenstherapie. Diese Form der
Psychotherapie setzt am verzerrten Gewichtsideal der Patientinnen an,
das die Psychologen im Gespräch mit den Patienten gezielt infrage
stellen. Gemeinsam erarbeiten beide mögliche Gründe und Auslöser der
Essstörung und suchen dann gemeinsam nach Wegen aus der
Ernährungskrise. Bei der Bulimia nervosa können Medikamente helfen,
die ansonsten gegen Depressionen zum Einsatz kommen. Diese
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer sind gut verträglich und werden von
den meisten Patientinnen auch akzeptiert, sagt Dr. Legenbauer. Bei der
Anorexia nervosa sind die Psychologen weiterhin allein auf ihre
Gespräche und die Einsicht der Patientinnen angewiesen. Die Therapie
ist langwierig und erfordert in der Regel einen stationären
Aufenthalt, sagt Dr. Legenbauer. Ein frühzeitiger Therapiebeginn sei
wichtig, weil die Störung schnell chronisch werde. Dann sind die
Patientinnen nicht mehr von den Gefahren der Hungerdiäten zu
überzeugen, die noch immer bei etwa 15 Prozent der Magersüchtigen zum
Tod führt.
T. Legenbauer, S.
Herpertz:
Essstörungen – Diagnostik und Therapie.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (18): S. 961-965