Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Angst, weil viel zu verlieren ist


Die Menschen in den Industrieländern hatten noch nie so viel zu verlieren wie heute: Sicherheit, Wohlstand, hohes Konsumniveau, universelle Kommunikation, fast unbeschränkte Mobilität. Diese und weitere Errungenschaften sind mit schuld an der zunehmenden Anzahl von Angsterkrankungen (Angst leitet sich vom Lateinischen "angustia" = Enge ab). Weitere Bezeichnungen der bestuntersuchten menschlichen Emotion Angst haben griechischen Ursprung: Der Hirtengott Pan, der durch sein hässliches Aussehen Angst und Schrecken verbreitete, gab der Panik ihren Namen, und die Phobien gehen auf Phobos, halb Löwe, halb Mensch, Sohn des Kriegsgottes Ares und der Aphrodite, zurück. Jeder Zwanzigste beschreibt heute ernsthafte und das Leben einschränkende Ängste. Dennoch stellt Angst als psychisches Phänomen eine der wichtigsten Ressourcen für eine differenzierte Bewältigung der Geschicke des Lebens dar, quasi eine Alarmsirene, die das Leben des Menschen beschützen soll. Nur scheint sie zuweilen aus dem Ruder zu geraten, und dann sprechen wir von Angststörungen. Menschen mit Angststörungen haben Schwierigkeiten in vielen Lebensbereichen.

Die Menschen in Europa brauchen derzeit keinen Krieg zu fürchten und die meisten haben auch keinen Krieg erlebt. Dennoch ist nicht nur die subjektiv empfundene Bedrohungssituation groß. Umweltzerstörungen, Erderwärmung, Vogelgrippe, Terrorismus oder auch hohe Schuldenstände vor allem in den Ländern der Dritten Welt. Obwohl die meisten Krisen hausgemacht sind, ändert sich wenig im individuellen Verhalten. In einer Einführung zum Themenheft "Angststörungen" der Zeitschrift "Psychotherapie im Dialog" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart) werden die Lebens- und Zukunftsängste der heutigen Bevölkerung als Ausdruck einer realitätsangemessenen Weltangst gesehen. Diese hat in bedeutendem Maße ihre Wurzeln in Umweltzerstörung, Überbevölkerung und Sinnverlust. Sie ist also selbst produziert aus einem unglaublichen kollektiven Egoismus heraus. Aber diese Angst vor der Welt wird auch gleichermaßen kollektiv verdrängt. Je hartnäckiger Angst verdrängt oder verleugnet wird, umso mehr bahnen sich schädliche Wege an. Angst ist nicht gefährlich, sie ist sogar notwendig. Gefährlich ist eine erstarrte Form, die Angst abzuwehren und sie zu verleugnen. Folgerichtig ist zu fordern, die Existenz der Angst und ihre Hintergründe eben nicht zu verdrängen, sondern sie in konstruktiven Handlungen zu bewältigen.

Für das psychotherapeutische Handeln bedeuten diese Überlegungen: die Angst wahrzunehmen und sich der Angst zu stellen, die Existenz von Angst auch in ihrer Sinnhaftigkeit zu erkennen, das Aufgeben von Verdrängungen und Vermeidungen zu unterstützen sowie die Hintergründe der Angst und ihre Einbindung in das soziale System zu verstehen. Die Verhaltenstherapie sieht sich prädestiniert für die Behandlung von Angststörungen. Die Alltagspraxis zeigt aber, dass sie alleine nicht in der Lage ist, so umfassende Konstrukte wie die menschliche Angst hinreichend zu erklären. Gleiches gilt auch für die Psychoanalyse. Weil Angststörungen eine äußerst komplexe psychische Problematik mit vielen individuellen Variationen darstellen, erscheint die Forderung nach einer dieser Komplexität entsprechenden Therapie angemessen.

Dies führt zur integrativen Psychotherapie der Angststörungen. Sie zeichnet sich durch die Kombination verschiedener Interventionstechniken unterschiedlicher therapeutischer Schulen aus. Leitend ist die Annahme, dass keiner der einzelnen Therapieansätze beanspruchen kann, für alle Patienten und für alle Störungen die besten therapeutischen Strategien parat zu haben. Da sehr viele unterschiedliche Kombinationen möglich sind, gibt es auch nicht "den" integrativen Therapieansatz. Im Prinzip baut integrative Psychotherapie verhaltenstherapeutische, körpertherapeutische und an Prozesserfahrung orientierte Anteile aus der dialogischen Gestalttherapie in ein integriertes Bild der Störung ein und konstruiert aus diesen die passende Interventionsstrategie. Eine erste empirische Überprüfung erbrachte viel versprechende Ergebnisse.

Pan, Phobos und die kollektive Weltangst.
PiD Psychotherapie im Dialog 2005; 6; Nr. 4;
S. 351-352.

Dr. Michael Broda, 66994 Dahn,
E-Mail: dr.michael.broda@t-online.de;

Dr. Steffen Fliegel, 48155 Münster,
E-Mail: klinischepsychologiemuenster@t-online.de

Angststörungen: Grundlagen und ein integrativer Ansatz.
PiD Psychotherapie im Dialog 2005; 6; Nr. 4;
S. 353-361.

Prof. Dr. Willi Butollo, Dr. Markos Maragkos, Universität München.
E-Mail: wbutollo@psy.uni-muenchen.de

Quelle: PsychPress Januar 2006 (Thieme-Verlag)