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Galt noch bis vor wenigen Jahren die Alkoholabhängigkeit als eine
Erkrankung des jüngeren und mittleren Erwachsenenalters, so berichten
Suchtmediziner über eine steigende Anzahl Alkoholkranker jenseits des
sechzigsten Lebensjahres. Aufgrund des demographischen Wandels ist
eine weitere Zunahme dieses "Geronto-Alkoholismus" zu erwarten. Aus
einem Beitrag zur Zeitschrift "Fortschritte der Neurologie,
Psychiatrie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2008) geht hervor, dass
man bei älteren Patienten mit alkohol-bezogenen Störungen anhand des
Beginns ihres schädlichen Alkoholkonsums zwischen Early- und
Late-Onset-Abhängigen unterscheidet. Erstere Gruppe macht circa zwei
Drittel, letztere ein Drittel der älteren Alkoholkranken ausmachen.
Bei den Early-Onset-Alkoholabhängigen scheinen mehr genetische, bei
den Late-Onset-Abhängigen mehr Umweltfaktoren eine Rolle in der
Suchtentstehung zu spielen. In Deutschland betreiben zwei bis drei
Millionen über Sechzigjährigen einen riskanten Alkoholkonsum.
Schätzungen zur Alkoholabhängigkeit in dieser Altersgruppe belaufen
sich auf bis zu 500.000 Personen. Entgegen dieser geschätzten hohen
Zahlen sind ältere Suchtkranke in entsprechenden Therapieeinrichtungen
drastisch unterrepräsentiert. Häufig konsultieren ältere Patienten
ihre Hausärzte und berichten Symptome, die direkt oder indirekt mit
dem Alkoholkonsum zu tun haben. Meist unterlassen die Hausärzte dann
aber aus Unwissenheit oder Scham Fragen nach den Alkoholgewohnheiten,
obgleich u. a. sehr einfache Fragebögen als Diagnose-Instrumente zur
Verfügung stehen. Zur Behandlung kommen sowohl Psychotherapie in Form
von Kurzinterventionen oder kognitive Verhaltenstherapie (derzeit
läuft an der Uniklinik Essen eine entsprechende Studie) als auch eine
spezielle medikamentöse Therapie in Frage. Psychotherapeutische
Verfahren scheinen gerade im Alter mit sehr guten Erfolgsquoten
aufzuwarten, sind aber im deutschen Sprachraum kaum erprobt.
B. Lieb:
Alkoholbezogene Störungen im Alter – Aktueller Stand zu Diagnostik und
Therapie.
Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2008; 76 (2): S. 75-85