fzm -
Der "Struwwelpeter" des Allgemeinarztes Heinrich Hoffmann war
unbeabsichtigt die erste Beschreibung eines Syndroms, das bis vor etwa
zehn Jahren als Kinderkrankheit betrachtet wurde: die
Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS. Erst dann
rückte die Ausformung der typischen ADHS-Symptomatik im
Erwachsenenalter zunehmend ins Interesse der Öffentlichkeit. Bei knapp
zwei Dritteln der Betroffenen setzt sich die ADHS bis ins höhere
Lebensalter fort. Bei manchen Menschen findet sich eine leichte
Ausprägung, die dann von ihrer Umgebung als chaotisch und sprunghaft,
kreativ oder temperamentvoll wahrgenommen wird. Bei anderen erreicht
die ADHS die Dimension einer Krankheit mit erheblichen Einschränkungen
in der Lebensführung und teilweise massiven psychosozialen
Beeinträchtigungen. Ein Aufsatz in der Zeitschrift "Psychiatrie und
Psychotherapie up2date" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2007) zeigt,
wie diesen Menschen geholfen werden kann. Voraussetzung ist natürlich
eine exakte Diagnose. Dabei ist bedeutsam, dass es im Rahmen dieses
Krankheitskonzeptes auch Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität
gibt. Die ADHS wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vererbt. Die
verdächtigten Gene betreffen das System der Neurotransmitter.
Bei der Mehrzahl
aller Erwachsenen mit ADHS finden sich eine oder mehrere
Begleiterkrankungen, die oft erst zum Anlass genommen werden, einen
Arzt aufzusuchen. Das können Angststörungen sein, aber auch
Substanzabhängigkeit (vor allem Alkohol, Cannabis, Nikotin),
Depressionen, Zwangssymptome und Persönlichkeitsstörungen. Personen
mit ADHS erreichen weniger häufig höherwertige Schul- und
Ausbildungsabschlüsse, verlieren häufiger ihren Job und Scheidungen
oder Partnerwechsel scheinen häufiger vorzukommen. Gemäß den im Jahre
2003 veröffentlichten deutschsprachigen Leitlinien wird eine
Kombinationstherapie aus Medikamenten und Psychotherapie angestrebt.
Medikament der ersten Wahl ist Methylpendidat (z.B. Ritalin), das
durch die Medien als Mittel zum "Hirndoping" zweifelhafte Berühmtheit
erlangte. Bei den psychotherapeutischen Verfahren soll eine
Unterstützung der Patienten in ihrem Alltag erreicht werden, wie
Organisationshilfen, Verbesserung der Aufmerksamkeit oder Erhöhung der
sozialen Kompetenz. Auch gruppentherapeutische Konzepte scheinen sich
zu bewähren mit dem übergeordneten Ziel, Symptome der ADHS besser zu
verstehen und selbst kontrollieren zu lernen, anstatt von der ADHS
kontrolliert zu werden.
A. Philipsen:
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im
Erwachsenenalter.
Psychiatrie und Psychotherapie up2date 2007; 1 (6); S. 433-446