Die Psychotherapie steht im Schatten der Naturwissenschaften. Während
man in dieser die Ergebnisse der Forschung messen und daher quantitativ
darstellen kann, können rein zahlenmäßige Auswertungen in der
psychosomatischen oder sozialwissenschaftlichen Forschung ein falsches
Bild ergeben. Subjektives Erleben und dessen Sinngehalt beispielsweise
können im Kern nur qualitativ wiedergegeben werden. Wie ein Aufsatz in
der Zeitschrift "PPmP Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische
Psychologie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart) darlegt, führt dies leicht
dazu, dass für Fachzeitschriften eingereichte Manuskripte oder die
Anträge von Drittmitteln für Forschungsprojekte falsch begutachtet
werden. Dafür ist hauptsächlich das Missverständnis verantwortlich, dass
es sich bei qualitativen Methoden um messtechnisch "minderwertige"
Schätzverfahren handele, die den Gegenstand unscharf und durch
subjektive Einflüsse des Autors verzerrt abbilden. Dabei wird verkannt,
dass qualitative Forschung, die im vergangenen Jahrzehnt in der
psychotherapeutischen Forschung stetig an Bedeutung zugenommen hat,
sozial- und sprachwissenschaftliche Methoden meint, die Sinngehalte
subjektiven Erlebens entschlüsseln. Damit gewinnen die Forscher völlig
neue Einblicke in Krankheitsprozesse.
Was damit gemeint ist, sei am Beispiel der
Lebensqualität erläutert. Verschiedene Skalen wurden entwickelt, um
diese zu messen und zahlenmäßig zu bestimmen. Allerdings kann das
Messergebnis durchaus von der Realität abweichen. So können sich
objektiv negative Lebensumstände nur in relativ geringem Ausmaß auf die
subjektive Lebensqualität niederschlagen. Dieses Phänomen, das innerhalb
der medizinpsychologischen Forschung als Zufriedenheitsparadoxon
bezeichnet wird, zeigt sich beim Vergleich von Schwerkranken versus
leichter Erkrankten, von radikal versus schonend Therapierten oder von
reichen versus armen Menschen. Der Grund dafür liegt darin, dass
objektive Personenmerkmale, die von den Skalen gemessen werden, nur
maximal 15 Prozent der Varianz der Lebensqualität aufklären, während die
übrigen Faktoren abhängig von subjektiven Sinnzuschreibungen sind. Auch
bei Langzeitstudien zur Lebensqualität einer Person kann nicht davon
ausgegangen werden, dass man damit objektiv vergleichbare Veränderungen
misst, vielmehr kommt es im Verlauf von Krankheiten zu Änderungen der
zugrunde gelegten Standards, Werten und Vorstellungen. Daraus wird
deutlich, dass Krankheitserleben und subjektive Einschätzung der
Lebensqualität dynamische Phänomene darstellen, deren Ausprägung
emotionalen und unbewussten Einflussfaktoren unterliegen. Um dieses
Geschehen adäquat zu erfassen, sind Interviews oder Stegreiferzählungen
erforderlich, die nach sozial- und sprachwissenschaftlichen Kriterien
analysiert werden müssen.
Methodologie, Methodik und Qualität qualitativer
Forschung.
PPmP Psychother Psych Med 2006; 56; Nr. 5;
S. 210-217.
Prof. Dr. med. Jörg Frommer, Klinikum Magdeburg.
E-Mail: joerg.frommer@medizin.uni-magdeburg.de |