(NK) Die neueren Forschungen des
Schmerzes haben nicht mehr so sehr die Leitungsbahnen des Schmerzes im
Blick, sondern vielmehr die Verarbeitung der Schmerzreize im Gehirn und
hier insbesondere die psychologischen Aspekte wie das
Unangenehmheitsgefühl, die Intensität, die Erinnerung an frühere
Schmerzerlebnisse, die Steuerung der Schmerzaufmerksamkeit und die
Verarbeitung des Schmerzes als Stressreiz. Diese psychologische
Verarbeitung des Schmerzes wird auch als die Modulation des Schmerzes
bezeichnet. Die Zuordnung einzelner Schmerzaspekte zu Leistungen
verschiedener Hirnregionen und Hirnkerne haben wir im Begleitheft zu
unserem Hirnmodell beschrieben (1).
Kürzlich erschien ein Artikel in der
"Zeit": "Wissen: Die Apotheke im Kopf" (2), der sich mit der Wirksamkeit
von Placebos beschäftigt und sich auf die Arbeiten von Fabrizio Benedetti
bezieht, Neurobiologe an der Universität Turin und einer der bedeutenden
Forscher auf dem Gebiet der Arzneimittelforschung.. Benedetti hatte
gezeigt, dass bis zu 30 % der Wirksamkeit eines Medikamentes durch
psychologische Faktoren hervorgerufen werden. Verabreicht man einem
Patienten ein wirksames Medikament, wobei der Patient aber nicht weiß,
wann es gegeben wird, z. B. in einer Infusion, die ohne die Kontrolle des
Patienten an- und abgestellt wird, dann wirkt das Medikament etwa 30 %
weniger, als wenn der Patient eine Injektion vom Arzt oder von einer
Krankenschwester erhält, bei der die üblichen Erklärungen gegeben werden
wie "Sie erhalten nun ein Medikament gegen ....".
Die Bewertungen eines Sachverhaltes oder eines
Schmerzes werden im vorderen Anteil des Gehirns, im präfrontalen Kortex
vorgenommen. Im präfrontalen Kortex wird die Aufmerksamkeit gesteuert und
diese Hirnregion steht in enger Verbindung zum limbischen System, das sind
Hirnregionen, in denen unsere Erinnerungen und das Langzeitgedächtnis
gespeichert sind, der Hippokampusregion, und den Hirngebieten, in denen die
Angst gesteuert wird, den Amygdalaregionen. Die Bewertungen, über die
entschieden werden, lauten: "Kenne ich diesen Schmerz schon? Stellt er eine
Gefahr dar? Erfordert er eine besondere Aufmerksamkeit?" Der frontale Kortex
nimmt den Schmerz wahr, lenkt die Schmerzaufmerksamkeit und beurteilt die
Gefährlichkeit. Je stärker Gefahr signalisiert wird, umso stärker wird dann
auch der Schmerz als Alarmsymptom wahrgenommen.
Das Schmerzerleben kann durch die gespeicherten
Informationen im Langzeitgedächtnis der Hippokampusregion verstärkt werden,
wenn der akute Schmerz in einem Zusammenhang mit schmerzhaften Erinnerungen
steht.
Ebenso bedeutend ist auch die im Gedächtnis
gespeicherte Erziehung. Wenn Eltern häufig Ereignisse katastrophisieren und
dadurch das Kind in Erregung versetzen, wirkt dies schmerzverstärkend. Oft
haben diese Menschen später Probleme mit Schmerzen zurechtzukommen. Hierbei
sei wieder an die von Benedetti im Rahmen der Placeboforschung
herausgefundenen Wirkungen erinnert, die durch das Erleben und die Bewertung
entstehen. Sie lauten: Etwa 1/3 der Wirkung ist von der subjektiven Bewertung
und dem subjektiv erlebten Umfeld abhängig. Offensichtlich steuert das Gehirn
die Schmerzrezeptoren und dadurch die Wirksamkeit eines Schmerzmedikamentes
auch über die Psyche.
Benedetti machte einen Versuch mit Alzheimer-Patienten. Bei
Alzheimer-Patienten ist bekannt, dass aufgrund der Demenz der präfrontale
Kortex gar nicht mehr mit den anderen Hirnregionen zusammenarbeitet. "Dann
verschwindet der Placeboeffekt völlig", sagt Benedetti. "Wenn man solchen
Patienten ein Schmerzmittel gibt, dann folgen keine psychologischen Effekte.
Dadurch wirkt das Schmerzmittel bis zu 50 Prozent schlechter." In diesem
Versuch fehlte wieder die Wirksamkeit, die auf die psychologischen und
informativen Aspekte eines Medikaments zurückgeht, weil die psychologischen
Faktoren sozusagen durch die Alzheimererkrankung vom übrigen Gehirn
abgeschnitten waren.
Quelle:
(1)Kohnen,
N., Didaktisches Hirnmodell zu Schmerzbahnen und Schmerzverarbeitung.
Problemkreis SAD 2006, (2) Albrecht, H., "Die Zeit" - Wissen: Die Apotheke im
Kopf. Die Zeit, vom 03.08.2006, 32(2006) http://www.zeit.de/2006/32/M-Hirnchemie
http://www.problemkreis-sad.de/1704_DEU_HTML.asp
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