Wien
(pte022/20.10.2011/12:40) - Der
Mensch muss sich im digitalen Zeitalter Selbstkontrolle zurückerkämpfen,
um mit dem Informationsdschungel zurecht zu kommen. Frank
Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ),
fordert in seiner Keynote beim Kongress des Dialog Marketing Verband
Österreich http://www.dmvoe.at die Rückbesinnung auf Intuition und
Kreativität. "Technische Evolution bedeutet immer Amputation. In der
digitalen Welt brauchen wir Selbsterziehung, um nicht von Giganten
erdrückt zu werden, die uns die Erinnerung und das eigenständige Denken
abnehmen wollen."
Multitasking ist
Körperverletzung
Die heutige
Herausforderung ähnle jener zur Zeit der Einführung der Maschinen,
erklärt Schirrmacher. "Die
Fabrikbesitzer um 1870 stellten ein Problem bei ihren Arbeitern fest,
das man "Fatigue" nannte. Die Menschen, die zuvor stets am Land hart
gearbeitet hatten, mussten ihr Muskelsystem an die neue Arbeitsweise
anpassen. Daraus entstanden Marathonlauf und das Fitness-Center." Statt
Bizeps und Rücken komme heute das Gehirn nicht mit der Arbeitsweise
zurecht, was sich im Burnout zeige - weshalb hier dringend Kompensation
nötig sei.
Das Beispiel
Multitasking - das der FAZ-Herausgeber als "Körperverletzung" bezeichnet
- zeige diese Überforderung.
"Wer während der Arbeit eine E-Mail empfängt und nachsieht, schweift
nach dem Lesen auf andere Internetseiten ab, bis er nach 25 Minuten
wieder zu seiner Arbeit zurückkehrt. Oft dann mit der Frage: Was
wollte ich gerade tun?" Dieser Arbeitsstil sorge dafür, dass man abends
höchstens für die Seifenoper, jedoch kaum mehr zum Bücherlesen fähig
ist. Zudem nehme überall in der
Gesellschaft die Kurzfristigkeit überhand - da das Gehirn etwa auch bei
SMS-Empfang sofortiges Nachsehen fordere.
Google statt Denken
Für beide
Folgen der Digitalisierung - Verlust der Konzentration und
Vergesslichkeit - bieten Google & Co Lösungen. "Googles Botschaft ist:
'Ihr dürft ruhig vergessen. Je transparenter ihr seid, desto besser
können wir euch an alles erinnern.' Zudem besteht die größte Macht des Suchriesen
darin, als Monopolist Aufmerksamkeit, die heute wichtigste Währung, zu
verteilen", so Schirrmacher.
Die
Abhängigkeit von Suchreihungen, die daraus entsteht, ist jedoch enorm. Schon eine winzige Veränderung
im Algorithmus lässt Unternehmen verschwinden oder beeinflusst die
Themenwahl der Medien: Durch eine Cricket-Vorliebe eines "Google
News"-Mitarbeiters erfreute sich die Sportart kürzlich in deutschen
Medien plötzlicher Beliebtheit. "Wie wäre es, wenn es sich bei der
Beeinflussung um politische, konfessionelle Neigungen handelte?", fragt
der Medienexperte.
Durchschauen nötig
Da die
Speicherkapazitäten ständig zunehmen, wird auch alles gemessen.
"Entscheidend ist die Frage, ob die Schlüsse daraus auch richtig sind.
Da wir nie ins vordigitale Zeitalter zurückgehen werden, brauchen wir
unbedingt Menschen, die das System durchschauen und Dinge beherrschen,
die der Computer nicht kann." Intuition, Bauchgefühl, Fehlertoleranz und
Kreativität seien deshalb gefragt und sollten auch in der Ausbildung
stärker gefördert werden, empfiehlt Schirrmacher. |