Von Zeit zu Zeit
erscheinen Veröffentlichungen, in denen die Wirksamkeit verschiedener
Schulen in der Psychotherapie miteinander verglichen werden. Unterschiede
werden meist nicht gefunden. Derartige Untersuchungen erreichen aber nicht
die Qualität randomisierter kontrollierter Studien. Allerdings stoßen
diese in der Psychiatrie und Psychotherapie auf Skepsis, aber es lassen
sich keine Gründe finden, weshalb kontrollierte Studien für die
Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker nicht nutzenstiftend sein
können. Ein Aufsatz in der Zeitschrift „PPmP Psychotherapie,
Psychosomatik, Medizinische Psychologie“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart)
beklagt ein enormes Defizit an relevanter Forschung: So fehlen Studien zum
Vergleich unterschiedlicher Behandlungsmethoden beziehungsweise -konzepten
mit relevanten klinischen Endpunkten und ausreichender Laufzeit.
Beispielsweise findet man bei der Behandlung mit Antidepressiva
durchgängig die Zuordnung der verschiedenen Wirkstoffklassen zu
verschiedenen Depressionstypen und -verläufen. Der Nutzen der
medikamentösen Depressionsbehandlung wird dabei generell unterstellt,
erscheint also nicht weiter begründungspflichtig. Nun hat sich aber
herausgestellt, dass Plazebos im Durchschnitt 75 Prozent des Effektes des
aktiven Medikamentes erreichen. Man muss allerdings berücksichtigen, dass
die verbleibenden 25 Prozent an "echter Wirkung" einem aktiven
Plazeboeffekt geschuldet sein könnten. Es müssten also dringend weitere
Studien unter Verwendung aktiver Plazebos durchgeführt werden, welche die
Nebenwirkungen der Antidepressiva so gut es geht imitieren.
Aus alledem ergibt sich: Es muss eine
Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsverfahren entwickelt werden.
Dafür gibt es in Deutschland für die GKV einen gemeinsamen Bundesausschuss
sowie das neu gegründete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen. Das Problem eines solchen Health Technology Assessment,
das auch Psychotherapie einschließt, liegt aber abgesehen von der
Entwicklung intelligenter Studiendesigns darin, dass es nur schwer
gelingt, die Ergebnisse jenseits des überholten Schulendenkens in Politik,
Öffentlichkeit und in die wichtigen Gutachtergremien hineinzutragen. Die
Bedenken gegen den Einsatz kontrollierter Studien in der Psychotherapie
lassen sich nicht zuletzt durch den Hinweis zerstreuen, dass diese mit
großem Erfolg auch für die Bewertung komplexer sozialer Interventionen in
den USA eingesetzt wurden. Aber es zeichnet sich ab, dass das
traditionelle Schulendenken in der Psychotherapie durch die Anwendung
angemessener Forschungsmethoden noch stärker in Frage gestellt wird als
dies heute schon der Fall ist.
Evidenzbasierte Medizin und
Psychotherapie: die Frage nach den angemessenen Erkenntnismethoden.
PPmP Psychother Psych Med 2006; 56; Nr. 5; S. 202-209.
Prof. Dr. med. Norbert Schmacke, Universität Bremen. E-Mail: schmacke@uni-bremen.de |