In der
klassischen Psychoanalyse, eine als "Redekur" konzipierten Behandlung,
geschieht körperliche Berührung in der Regel nur in Form des Handgebens
bei Begrüßung und Abschied, wobei selbst hierbei psychoanalytisch
relevante Variationen beobachtet werden können. In der therapeutischen
Sitzung geht es nicht um das Schauen, sondern das Vorstellen, nicht um das
konkrete Anfassen, sondern das mentale Begreifen, nicht um das direkte
Handeln, sondern um das Denken als Probehandlung. Trotz der Verankerung
psychoanalytischer Theorien in körperbezogenen Vorgängen blieb die Analyse
des Körperausdrucks bis vor kurzem eher im Hintergrund. Hier beginnt eine
Veränderung. Das analytische Verständnis der therapeutischen Beziehung als
rein seelisches Übertragungsfeld sowie das bisherige Abstinenzverständnis,
das körperliche Interventionen ausschließt, würden der Eröffnung neuer
Möglichkeiten entgegenstehen. Nicht nur die körperlichen Vorgänge beim
Patienten, sondern auch die des Therapeuten gewinnen mehr Bedeutung und
Gewicht. So ist die Anwendung körperlicher Handlungsinterventionen laut
einer Veröffentlichung in der Zeitschrift „PiD Psychotherapie im Dialog“
(Georg Thieme Verlag, Stuttgart) heute nicht mehr umstritten. Die
Einführung der körperlichen Ebene in die therapeutische Beziehung hat bei
allen Schwierigkeiten einen ganz entscheidenden Zugewinn. Oft sind in den
nichtsprachlichen Anteilen die stärksten Affekte gebunden. Für
Tiefenanalytiker, die noch nie berührt haben, gilt als einfachste
Berührung das Halten einer Hand. Der therapeutische Umgang mit dem Körper
setzt spezielle Fortbildung voraus. Aber auch eine ganze Reihe anderer
Körpertherapien vermittelt nützliche Kompetenzen. Sie vermitteln
Umgangsformen der Berührung oder auch nur der Beobachtung der feineren
oder auch gröberen Körpergesten und -zeichen, die die Brücke zu einer
hilfreichen Berührung bilden können. Die Berührung hat neben dem
Halt-Geben noch einen weiteren Effekt: Der Patient spürt, dass sein
Therapeut ein Mensch aus Fleisch und Blut ist, eine Erfahrung, die manche
Patienten in der verbalen Analyse auf schmerzliche Weise vermissen. Es
gibt heutzutage eine Reihe psychotherapeutischer Verfahren in Einzel- oder
Gruppensitzungen, die mit einem mehr oder weniger direkten Einbezug des
Körpers arbeiten. Körperliche Berührung ist hier fester Bestandteil der
Behandlung.
Körperliche Berührung in der
Psychoanalyse. Dr. phil. Dipl-Psych. Jörg M. Scharff, Kronberg/Taunus
Körperpsychotherapie und die therapeutische Beziehung. Dr. Tilmann Moser,
Freiburg.
PiD Psychotherapie im Dialog 2006; 7; Nr. 2; S. 133-139; S. 140-143.
(Presseinformation des Thieme-Verlages Juli 2006 |