Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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PTSD - eine politisch unerwünschte Diagnose


Obwohl wir eine detaillierte Beschreibung der heftigen psychischen Reaktionen auf das Erleben von Gewalt bereits ca. 800 vor Christus in der "Ilias" von Homer finden, existiert eine offiziell anerkannte Diagnose für die psychischen Reaktionen auf Extrembelastungen erst seit 1980. Warum hat das so lange gedauert? Eine Übersicht in der Zeitschrift "PPmP Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart) beschreibt die fünf wichtigsten Stationen auf dem Weg zur Diagnose "post-traumatische Belastungsstörung" (PTSD). Aufgrund der häufigen Eisenbahnunfälle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts litten viele Passagiere nicht nur unter Knochenbrüchen und anderen körperlichen Verletzungen, sondern häufig auch unter psychischen Folgeerscheinungen. Zu deren Erklärung vertrat ein Londoner Chirurg 1866 die These, dass die psychischen Symptome durch die Erschütterung des Rücken-marks im Rahmen der Eisenbahnunfälle verursacht seien. Wenngleich Widersprüche von einflussreichen Medizinern dieser Zeit hervorgebracht wurden, gewannen etwa 70 Prozent der Kläger ihre Entschädigungsforderung gegen die Eisenbahngesellschaft.

Sigmund Freud stellte die These auf, dass Hysterie auf schwerwiegende sexuelle Missbrauchsereignisse in der Kindheit zurückzuführen sei. In einer Zeit, in der Hysterie häufig diagnostiziert wurde, bedeutete diese Annahme, dass sexueller Missbrauch (Perversion gegen Kinder) in der Wiener Oberschicht häufig vorkäme. Diese These war daher gesellschaftlich inakzeptabel und stieß auch bei Fachkollegen auf Widerspruch. Wenige Jahre später distanzierte sich Freud von seiner Annahme und deklarierte hysterische Symptome als Wunschphantasien seiner Patientinnen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging man davon aus, dass die meisten psychischen Reaktionen auf Unfälle von den betroffenen Patienten nur simuliert würden, um Kompensationen zu erkämpfen. Auch die psychischen Zusammenbrüche von Soldaten des ersten Weltkrieges hielt man in Deutschland für Simulation und nach Ende des zweiten Weltkrieges war in Deutschland noch lange nicht anerkannt, dass das Erleben von Gewalt und Holocaust auch bei vorher Gesunden zu tief greifenden Persönlichkeitsänderungen führen könnte. Erst mit Beginn der fünfziger Jahre begann sich ein Sinneswandel durchzusetzen. 1980 schließlich wurde die "Posttraumatische Belastungsstörung" als Diagnose offiziell anerkannt und fand Eingang in die beiden großen Manuale DSM-III und ISD-10. Dies erst hat die Entwicklung von spezifischen psychologischen Therapien ermöglicht.

Geschichte einer politisch unerwünschten Diagnose: Die posttraumatische Belastungsstörung.
PPmP – Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 2006; 56; Nr. 3/4; S. 182-187.
 

PD Dr. med. Dipl.-Psych. Bernd Löwe, Universitätsklinikum Heidelberg. E-Mail: bernd.loewe@med.uni-heidelberg.de