Für Kinder gibt
es nur Erwachsenen-Medikamente
Bisher kein
eigenes Forschungsgebiet – Bis zu 90 % der Kinder werden im Krankenhaus
mit nicht zugelassenen Arzneien behandelt
Im psychiatrischen Bereich gibt es kaum Medikamente, die
für Kinder zugelassen sind, mit Ausnahme der Behandlung des
Hyperkinetischen (Zappelphilipp-) Syndroms. Die Ärzte müssen Mittel für
Erwachsene verschreiben, Arzneiforschung für Kinder findet nicht in
erforderlichem Maße statt. Ein großer Nachteil für alle Kinder mit
ernsthaften psychischen Erkrankungen, kritisiert die Deutsche
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP).
„Natürlich behandelt kein Kinder- und Jugendpsychiater seine jungen
Patienten ohne gewichtigen Grund mit Medikamenten. Die kinder- und
jugendpsychiatrischen Fachgesellschaften haben Leitlinien entwickelt,
die dem Arzt die Auswahl der günstigsten Therapieform auf der Basis
aktueller wissenschaftlicher Untersuchungen erleichtern", sagt Prof.
Jörg Fegert von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie (DGKJP). „Doch bei schwereren psychischen Erkrankungen
im Kindesalter führen Medikamente, meist in Kombination mit
Psychotherapie, oft zu einer deutlichen Besserung. Die Verbreitung
wissenschaftlicher Erkenntnisse im Internet führt dazu, dass immer mehr
gut informierte Eltern mit der – begründeten oder medizinisch auch nicht
begründeten – Bitte um Medikamente für ihr Kind auf den Arzt zukommen."
Wirkstoffe nur an Erwachsenen getestet
Der Kinder- und Jugendpsychiater steht hier vor einem Konflikt: Er kann
fast nur mit Medikamenten arbeiten, die an Erwachsenen getestet und auch
nur für diese zugelassen sind. In ihren Wirkstoffen und
-mechanismen, ihrer Zusammensetzung, möglichen Neben- und
Langzeitwirkungen sind sie ausschließlich auf erwachsene Patienten
ausgerichtet. Bei der Behandlung von Kindern begeben Arzt und Eltern,
die einwilligen, sich in eine rechtliche Grauzone: den so genannten „Off
Label Use", die Anwendung von Medikamenten außerhalb ihres genau
definierten Zulassungsbereiches. Der Arzt muss sich auf Erfahrungswerte
verlassen und könnte im Zweifelsfall regresspflichtig gemacht werden. Er
und die Eltern sind auf das Wohlwollen der Krankenkassen angewiesen, die
die gebräuchlichsten Psychopharmaka auch bei Kindern erstatten. Prof.
Fegert: „Das Problem besteht nicht nur in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie, sondern in der gesamten Kinderheilkunde. Im
Krankenhausbereich werden 50 bis 90 Prozent der Kinder mit nicht
zugelassenen Substanzen behandelt, in den Arztpraxen sind es nach einer
AOK-Untersuchung über 13 Prozent."
Paradoxe Situation
Das Problem hat mehrere Wurzeln: Zunächst ist man in Deutschland auf
Grund der Medizinverbrechen während der Nazizeit – zu Recht – besonders
sensibel in Bezug auf Forschung an Kindern. Für die pharmazeutische
Industrie stellen psychische Erkrankungen bei Kindern kein ausreichend
großes und daher wirtschaftlich interessantes Forschungsgebiet dar. „De
facto haben wir mit dem alten Arzneimittelgesetz in Deutschland generell
Schwierigkeiten mit Forschung zum Wohle von Kindern", bedauert Prof.
Fegert. „Das führt zu der paradoxen und unhaltbaren Situation, dass der
angestrebte besondere Schutz die betroffenen Kinder letztendlich völlig
ungeschützt lässt, denn sie können nicht mit wissenschaftlich geprüften
und zugelassenen Medikamenten behandelt werden. Bei der anstehenden 12.
Novelle des Arzneimittelgesetzes begrüßt die DGKJP deshalb insbesondere
die Veränderungen, die nun auch die speziellen Bedingungen von Forschung
an Kindern berücksichtigen, und die Erwähnung des Expertengremiums
Kinderarzneimittel im Gesetz selbst."
Andere Länder sind um Meilen voraus
Gerade in den letzten
Jahren sind viel gezielter wirkende und nebenwirkungsarme Psychopharmaka
für Erwachsene auf den Markt gekommen, von denen auch psychisch
erkrankte Kinder sehr profitieren könnten. Die DGKJP fordert hier
pharmakologische Forschung insbesondere auch zur Frage der
Langzeitsicherheit. Andere Länder wie die USA seien hier um Meilen
voraus. Auch der europäische Gesetzgeber mache richtige Vorgaben, die in
Deutschland jedoch dringend einer entsprechenden Umsetzung bedürften, so
die DGKJP.
Quelle:
DKJP |