Dyskalkulie:
Jedes 20. Kind kann nicht rechnen
Die DGKJP entwickelt erstmals Test zur Früherkennung
Im Vergleich zur Lese- und Rechtschreibschwäche
(Legasthenie) ist die Rechenschwäche (Dyskalkulie) relativ wenig bekannt
und erforscht. Aktuellen Untersuchungen zufolge sind im
deutschsprachigen Raum 4,4 bis 6,7 Prozent der Schulkinder betroffen.
Das heißt: Jedes 20. Kind kann trotz normaler Begabung nicht rechnen.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) hat
jetzt einen neuen Test entwickelt, mit dem eine Früherkennung leicht
möglich ist.
„Unter Dyskalkulie versteht man eine grundlegende Schwäche im Umgang mit
Mengen und Zahlen. Diese zeigt sich im mangelnden Vermögen, Zahlen in
ihrer Quantität zu erfassen und damit einfache Rechenoperationen
auszuführen“, erläutert Dr. Johann Haffner (DGKJP) aus Heidelberg die
Problematik. „Die Kinder kennen die Zahlen zwar und können sie auch
aufsagen, nicht aber die Zahlengrößen mit Vorstellungen und logischen
Denkprozessen verknüpfen.“
Rechenschwache Kinder haben oft Defizite in der räumlich-visuellen
Reizverarbeitung und entwickeln dadurch unzureichende Mengen- und
Größenvorstellungen von Zahlen. Im Alltag zeigt sich dies zum Beispiel
an der Schwierigkeit, einen Tisch mit der korrekten Anzahl an Geschirr
zu decken oder etwa die Uhr zu lesen und damit zeitliche Abmachungen
einzuhalten. Mädchen sind von dem Phänomen etwas häufiger betroffen als
Jungen.
Während legasthenische Kinder oft durch Verhaltensstörungen wie
Herumkaspern oder Aggressivität auffallen, neigen Kinder mit Dyskalkulie
eher zu Ängsten und depressiven Symptomen. Auch werden bei ihnen gehäuft
Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Probleme in der
Sprachentwicklung beobachtet.
Wissenschaftler der DGKJP haben jetzt einen Test entwickelt, der die
Feststellung grundlegender Rechenleistungen einzelner Kinder ermöglicht.
„Mit dem so genannten Heidelberger Rechentest können komplette
Schulklassen in 50 bis 60 Minuten untersucht werden“, erläutert Dr.
Haffner. „Das versetzt uns in die Lage, Kinder mit Dyskalkulie ab dem
Ende der ersten Klasse zuverlässig zu erkennen und besondere
Fördermaßnahmen einzuleiten.“ Mit dem neuropsychologischen Testverfahren
ZAREKI können weitere Hinweise zur Art der Schwierigkeiten bei
Zahlenverarbeitung und Rechenleistung gewonnen werden.
Bislang existieren keine standardisierten Therapieprogramme. „Förder-
und Therapiemaßnahmen müssen auf die konkreten Probleme des jeweiligen
Kindes zugeschnitten sein“, betont Priv.-Doz. Dr. Michael von Aster (DGKJP)
aus Berlin. „Trainingsprogramme, die sich pauschal auf die Verbesserung
von Psychomotorik, Wahrnehmung oder Sprache beziehen, können für sich
allein keine ausreichende Verbesserung der numerischen Kompetenzen
bewirken.“ Intensives Üben, zum Beispiel mit den Eltern, bringt kaum
etwas, wenn das Grundverständnis von Zahlen zu schwach ausgeprägt ist.
Nicht allen betroffenen Kindern kann umfassend geholfen werden. Dennoch,
so die DGKJP, stehen die Chancen umso besser, je früher die Dyskalkulie
erkannt wird. Die Förderung rechenschwacher Kinder sollte möglichst im
Regelunterricht und in enger Zusammenarbeit mit den Klassenlehrern
stattfinden. Bei schweren Ängsten, depressiven Symptomen und
Aufmerksamkeitsstörungen sollten zusätzlich begleitende
Behandlungsmaßnahmen ergriffen werden.
Verbindung zwischen neuronalen Netzwerken
im Gehirn gestört
Für den geistigen Umgang mit Mengen und Zahlen entwickeln sich im
Kleinkind- und Schulalter neuronale Netzwerke - und zwar primär in den
Regionen des Gehirns, die mit der Verarbeitung sprachlicher und
visuell-räumlicher Inhalte zu tun haben. Den Kern dieser Entwicklung
bilden einfache angeborene Grundfunktionen: Bereits wenige Wochen nach
der Geburt können Säuglinge kleine Mengen wahrnehmen und unterscheiden.
Mit dem Erwerb von Sprache lernen die Kinder dann, zu zählen und Mengen
mit Zahlworten zu bezeichnen. Mit dem Schuleintritt bildet sich ein
weiteres Netzwerk für die arabische Schreibweise aus, und schließlich
entsteht mit fortschreitendem Schulalter eine Art innere
Zahlenraumvorstellung, die das schnelle Schätzen und Überschlagen von
Rechnungen ermöglicht. „Wir gehen davon aus, dass bei Kindern mit
Rechenstörungen diese Prozesse des Aufbaus und der Verschaltung der
Neuronen-Netzwerke gestört sind“, erläutert Priv.-Doz. Dr. Michael von
Aster von der
DGKJP. Als Gründe für solche fehlenden oder fehlerhaften Verknüpfungen
kommen genetische Veranlagungen, frühkindlich bedingte
Hirnfunktionsstörungen sowie schulische Entwicklungsumstände in
Betracht.
Quelle:
DKJP |