Neun von zehn
Schreibabys kann geholfen werden
DGKJP:
Gute Therapieerfolge in Schreiambulanzen
Anpassungsfähigkeit an
die neue Umgebung oft gestört
Nächtelang herumtragen, stündlich stillen oder wickeln:
Die meisten Methoden, das Dauergebrüll von Schreibabys abzustellen, sind
eher kontraproduktiv und verstärken die Unruhe des Kindes noch. Dass es
für die verzweifelten Eltern jedoch Hoffnung gibt, zeigen
Schreiambulanzen oder -sprechstunden: Hier liegt die Erfolgsquote bei
bis zu 90 Prozent, betont Prof. Mechthild Papousek von der Deutschen
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP).
In die Sprechstunde für Schreibabys am Kinderzentrum München zum
Beispiel haben gestresste Eltern in den vergangenen zwölf Jahren mehr
als 2.500 Kinder im Alter von null bis drei Jahren gebracht; 700
Schicksale wurden wissenschaftlich ausgewertet. „Mit durchschnittlich
weniger als vier Terminen konnte annähernd neun von zehn Kindern
geholfen werden. 45 Prozent galten als vollständig therapiert, bei
weiteren 44 Prozent konnten Regulation und Beziehung deutlich
stabilisiert werden“, erläutert Prof. Mechthild Papousek von der DGKJP,
die am Kinderzentrum München tätig ist. In Schreiambulanzen oder
-sprechstunden lernen die Eltern ganz praktisch, wie sie ihrem Kind mehr
Ruhe verschaffen und das Einschlafen ermöglichen können. Solche
Einrichtungen gibt es nach Angaben der DGKJP an Universitäts- und
Kinderkliniken, sozialpädiatrischen Zentren und Facharztpraxen. „In
unserer Eltern-Säugling-Sprechstunde etwa arbeiten Spezialisten aus den
Bereichen Kinder- und Jugendpsychiatrie, Familientherapie und
Neonatologie (Neugeborenenkunde) interdisziplinär zusammen“, betont Dr.
Eva Möhler (DGKJP) von der Universität Heidelberg.
Die Therapieerfolge beruhen auch darauf, dass man inzwischen mehr über
die möglichen Entstehungsmechanismen des unaufhörlichen Schreiens weiß.
Körperliche Störungen wie „Dreimonatskoliken“ seien selten der Auslöser,
so die DGKJP. Vielmehr befinde sich der Organismus des Neugeborenen in
einer intensiven Phase der Anpassung an die ungewohnte Umgebung.
Schlaf-Wach-Rhythmus, Temperaturhaushalt und Immunsystem entwickelten
sich, Umwelteindrücke müssten verarbeitet, neue Ernährungsgewohnheiten
erlernt werden. Prof. Papousek: „Diese Reifeprozesse gelingen einigen
Babys, andere tun sich schwer damit.“
Auch können Störungen in der frühen Kommunikation zwischen Eltern und
Babys eine Rolle spielen. Die Probleme beginnen oft bereits in der
Schwangerschaft: Wenn die werdende Mutter unter vorgeburtlichem Stress,
Ängsten oder Depressionen leidet, unbewältigte Konflikte mit sich
herumträgt oder in einer spannungsträchtigen Beziehung lebt, kann dies
die gemeinsame Regulation von Eltern und Baby nachhaltig
beeinträchtigen.
Die ohnehin angespannte Situation spitzt sich dann noch zu. Die
gestressten Eltern fühlen sich hilflos, haben Versagens- und
Schuldgefühle und sind gleichzeitig gestresst, übermüdet und erschöpft.
Prof. Papousek: „Die Eltern brauchen körperliche und psychische
Entlastung, sie benötigen Beratung und vor allem viel Verständnis. Dies
alles bekommen sie in den Schreibaby-Sprechstunden.“
Ist mein Kind ein „Schreibaby“?
Schreibabys machen laut DGKJP 20 bis 25 Prozent aller Neugeborenen aus.
Sie leiden vor allem unter Schlafproblemen: Nachts sind es nur wenige
Stunden, tagsüber meist nur 30 Minuten ohne Unterbrechung. Die Babys
wirken übermüdet, schlafen aber nicht ein, sondern reagieren auf jeden
Reiz mit Schreiattacken. Schreibabys brüllen und quengeln mindestens
drei Stunden täglich an mindestens drei Tagen wöchentlich über mehr als
drei Wochen. „Sie lassen sich nicht mit den üblichen Strategien wie
Stillen, Wickeln oder Tragen beruhigen“, erläutert Dr. Eva Möhler (DGKJP)
von der Eltern-Säugling-Sprechstunde an der Uni Heidelberg. Die
Schreiattacken beginnen ab dem achten Lebenstag, erreichen ihren Gipfel
nach sechs Wochen und klingen nach dem dritten Monat ab. Bei etwa vier
Prozent dauert die Schreiphase erheblich länger; sie ist oft der Beginn
von Schlaf- und Essstörungen, exzessivem Klammern und Trotzen,
aggressivem Verhalten oder krankhaften Angststörungen.
Experten-Tipps der DGKJP
Die Deutsche
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) empfiehlt Eltern
von Schreibabys, sich auf wenige, gleichbleibende Beruhigungsarten zu
konzentrieren und nicht immerfort Neues auszuprobieren. So sollte das
Kind zum Schlafen immer ins Bettchen gelegt, aber nicht bei der
kleinsten Aufregung wieder auf den Arm genommen, geschaukelt oder immer
wieder von neuem gestillt werden. Die Händchen zusammenzuführen, leises
Summen und ein Tuch, in das es eingewickelt wird, können ebenfalls
hilfreich für das Baby sein. „Das klappt alles nicht beim ersten und
auch nicht beim zweiten Mal. Kinder brauchen Zeit und viele, viele
Wiederholungen zum Lernen. Doch mit regelmäßigem Üben kann das gestörte
Schlaf-Wach-Verhalten reguliert und dadurch auch das exzessive Schreien
reduziert werden“, erläutert Prof. Mechthild Papousek von der DGKJP.
Quelle:
DKJP |