Autismus: Das Leid der Eltern lindern
DGKJP empfiehlt Training und Beratung für Angehörige
Spätestens seit „Rain Man“ - dem Film, in dem Dustin
Hoffman einen stark verhaltensauffälligen Mann spielt - ist Autismus als
Krankheit ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Wesentlich weniger
Beachtung finden die Angehörigen, insbesondere die Eltern der
Erkrankten, die vor zahlreichen Problemen stehen und oft Hilfe
benötigen. Für sie gibt es inzwischen spezielle Beratungs- und
Trainingsangebote, die sehr erfolgreich sind. Wie die Deutsche
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) mitteilt, kann
mit diesen Maßnahmen bis zu 90 Prozent der Eltern geholfen werden.
Betreuung und Pflege von autistischen Kindern werden zu einem Großteil
von den Eltern, vor allem der Mutter, erbracht. „Ein normales
Familienleben ist in solchen Fällen kaum möglich“, weiß Prof. Fritz
Poustka von der DGKJP. Die alltäglichen Belastungen im Zusammenhang mit
der Erkrankung des Kindes führen bei einigen Eltern dazu, dass sie
selbst psychische Probleme bekommen, vor allem depressive Verstimmungen
sowie Gefühle von Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit. „Auch das
Zusammenspiel der Familienmitglieder kann beeinträchtigt sein“, so der
Kinder- und Jugendpsychiater aus Frankfurt. „Die Ehepartner machen sich
gegenseitig Vorwürfe, gesunde Geschwister fühlen sich nicht genug
beachtet.“
Eigenes Leben nicht vernachlässigen
Die eigenen Bedürfnisse der betreuenden Angehörigen kommen meist zu
kurz. Sie dürfen jedoch nicht vernachlässigt werden, wie Prof. Poustka
betont: „Trotz der schwierigen Situation sollten die Eltern auf jeden
Fall auch weiterhin ihr eigenes Leben führen. Das Kind braucht Mutter
und Vater langfristig, deshalb muss sich jeder auch Phasen der Erholung
und Entspannung gönnen.“
Regelmäßig sollten Eltern und Kind ambulante Beratungstermine mit
erfahrenen Kinder- und Jugendpsychiatern vereinbaren. Für einen
emotionalen und praktischen Austausch können Eltern an
Selbsthilfegruppen teilnehmen; von besonderer Bedeutung ist hier der
Bundesverband „Hilfe für das autistische Kind“ (www.autismus.de), in dem
mehr als 4.000 Eltern in 40 Regionalzentren organisiert sind. Prof.
Poustka: „Um vor allem die Mütter zu entlasten, kann eine stundenweise
Aufsicht des Kindes beantragt werden. Ferner gibt es einige
Kurzpflegeeinrichtungen, die autistische Kinder einige Wochen betreuen,
um der Familie einen Urlaub ohne Sorge und Verantwortung für das
autistische Kind zu ermöglichen.“
Weitere wichtige Möglichkeit ist die Elternberatung und -schulung durch
qualifizierte Therapeuten. In speziellen Kursen erfahren die Eltern
theoretische Hintergründe über die Erkrankung und ihre
Behandlungsmethoden; sie erlernen in Form von Rollenspielen Strategien,
wie sie in bestimmten Situationen reagieren können, und tauschen
Erfahrungen mit anderen Müttern und Vätern aus. „Diese Kurse haben sich
als sehr effektiv erwiesen“, erläutert Prof. Poustka (DGKJP).
„Verschiedenen aktuellen Untersuchungen zufolge sagen 80 bis 90 Prozent
der teilnehmenden Eltern, dass sich durch das Training die
Eltern-Kind-Beziehung gebessert hat. Etwa 70 Prozent sind der Meinung,
dass sich das Familienklima positiv verändert hat und dies auch ihrer
Gesundheit und ihrem Belastungsniveau zugute kommt.“ Da jedoch keine
Heilung zu erwarten ist, müssen solche Interventionen in aller Regel
wiederholt werden.
Tipps für Eltern
Die DGKJP hat für Eltern autistischer Kinder Empfehlungen
zusammengestellt. Diese sind ausführlich in einem neuen Ratgeber von
Prof. Poustka veröffentlicht. Dazu gehören neben konkreten Hinweisen zu
Diagnostik und Therapie Grundsätze wie:
·
Versuchen
Sie, die Erkrankung Ihres Kindes zu akzeptieren und zu verstehen.
·
Informieren Sie sich! Organisieren Sie Hilfen, Therapien und
Unterbringung.
·
Fördern
Sie Ihr Kind, trauen Sie ihm etwas zu und hemmen Sie nicht seine
Entwicklung. Aber verlangen Sie auch nicht zuviel von ihm.
·
Setzen Sie
realistische Therapieziele an. So werden Fortschritte schneller
sichtbar.
·
Stellen
Sie sich auf familiäre Probleme ein.
·
Geben Sie
nicht dem Kind, sich selbst oder anderen die Schuld für die entstandene
Situation. Versuchen Sie, die Probleme zu lösen und damit umzugehen,
auch wenn dies zunächst aussichtslos erscheint.
·
Kümmern
Sie sich auch um sich selbst, verschaffen Sie sich Entspannung!
Versuchen Sie auch weiterhin, Ihren Hobbys nachzugehen und Freunde zu
treffen.
Tiefgreifende Entwicklungsstörung
Bei Autismus handelt es sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung,
die in der Regel vor dem dritten Lebensjahr beginnt und von der etwa
150.000 Menschen in Deutschland betroffen sind. Hinzu kommt eine etwa
doppelt so große Zahl von Personen, die an milderen Formen des Autismus
(Autismusspektrum-Störung) leiden. Der Verlauf einer autistischen
Störung ist individuell sehr verschieden. Die meisten Betroffenen können
keine zwischenmenschlichen Beziehungen aufbauen. Sie ziehen sich in sich
selbst zurück, wirken interessen- und phantasielos. Etwa jeder Vierte
bleibt ein Leben lang ohne verständliche Sprache. Begleitend haben
autistische Patienten oft Ess- und Schlafstörungen, unruhiges Verhalten
und verletzen sich selbst. Nur etwa 10 bis 15 Prozent der Menschen mit
frühkindlichem Autismus erreichen im späteren Leben eine relativ
unabhängige Lebensführung. Alle anderen benötigen langfristig zumindest
einen gestützten Wohnbereich, therapeutische Begleitung oder aber auch
Betreuung und Pflege.
Quelle:
DKJP |