Mannheim – Der Begriff „evidenzbasiert“ steht in der Medizin oft
gleichbedeutend mit „hochwertig“. Doch auch die evidenzbasierten, also durch
Studien abgesicherten medizinischen Erkenntnisse erweisen sich in der Praxis
nicht immer als problemlos umsetzbar. Grenzen der „modernen Studienmedizin“
diskutieren Experten im Rahmen der 79. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft
für Neurologie (DGN), die vom 20. bis 22. September 2006 in Mannheim
stattfindet.
„Die
evidenzbasierte Medizin hat mit dem klinischen Alltag der Ärzte oft nur wenig
gemein“, beklagt Professor Dr. med. Feraydoon Niroomand vom Evangelischen
Krankenhaus in Mülheim an der Ruhr im Vorfeld des Kongresses. Angewandte
Studienergebnisse müssten deshalb unbedingt durch Patientenregister überprüft
werden. Oft gelte der Nutzen einer Behandlung bereits dann als erwiesen, wenn
dieser statistisch bedeutsam ist. „Dabei wird jedoch das tatsächliche Ausmaß
des Nutzens einer neuen Therapie gerne unterschlagen“, bedauert Niroomand.
Moderne
medizinische Erkenntnisse stützen sich auf vorausschauende, zufallsverteilte
kontrollierte Studien. Die Probleme solcher Studien beginnen nicht selten
bereits bei den Ein- und Ausschlusskriterien: „Die Kriterien können entweder
so weit oder auch so eng gefasst sein, dass sie mit dem Patienten in der
Klinik nichts mehr gemein haben“ sagt Professor Niroomand. Ein Beispiel: Eine
Studie untersucht die Wirksamkeit eines Medikaments gegen Bluthochdruck. Als
Probanden dienen Patienten zwischen 18 und 80 Jahren. Die individuelle
Krankengeschichte bleibt in einer so gemischten Gruppe naturgemäß auf der
Strecke. „Ob der Patient männlich oder weiblich, alt oder jung ist und welche
Begleiterkrankungen er hat, wird hierbei gar nicht unterschieden“, so
Niroomand. Zudem sei die Laufzeit der Studien häufig zu kurz. Die langfristige
Wirkung einer Therapie werde nicht erfasst, obwohl gerade diese für den
klinischen Alltag oftmals besonders interessant sei. Für problematisch hält
der Mediziner auch fehlerhaftes Design der Studien oder statistische Mängel
bei der Auswertung der Daten. AExperten diese und weitere Kritikpunkte der
evidenzbasierten Medizin erörtern.
Quelle: Pressemitteilung
der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (11.09.06)
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