Viele Menschen gehen
wie selbstverständlich davon aus, dass man immer erst die Ursache
persönlicher Probleme kennen muss, bevor man etwas verändern kann. Solchen
Personen begegnet man besonders häufig unter Angst- und
Depressionskranken. Sie vermitteln den Eindruck, dass ihnen ihr Interesse
an Ursachenforschung ein willkommenes Alibi dafür liefert, weiter im
Abwarten zu verharren bzw. ihren bisherigen Lebensstil beibehalten zu
dürfen. Mit dieser Einstellung gelingt es allerdings kaum, das Gefühlsloch
zu verlassen, in dem sich die Betreffenden meist befinden. Erfolgreicher
sind oft Menschen, die lieber sofort eine sich anbietende Lösung
ausprobieren. Vorsicht: Dies ist keine Einladung zu einem „Entweder-Oder-Denken“
– am besten kommt man (nicht nur bei psychischen Problemen) oft voran,
wenn man mehrere Alternative ausprobiert.
Folgende Beispiele stellen das Beharren auf
Ursachenforschung in Frage. Bedenken Sie dabei: Viele seelisch leidende
Menschen erleben ihre Situation nicht weniger dramatisch!
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Angenommen Sie halten sich in
einem aussichtslos brennenden Zimmer mit kleinen Kindern auf: Würden Sie
erst nach den Brandursachen forschen (Brandstiftung, brennende Zigarette,
durchgeschmortes Kabel) oder würden Sie nicht die Kinder und sich selbst
in Sicherheit bringen?
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Wenn Ihr Auto nachts auf einer
Landstraße liegen bleibt, weil ein Reifen platt ist, würden Sie dann –
unter Umständen stundenlang - nach den Ursachen forschen (z.B.
Abmarschieren der letzten gefahrenen Kilometer auf der Suche nach
möglichen Nägeln), oder wäre es Ihnen nicht wichtiger, lieber sofort den
Ersatzreifen zu montieren, um möglichst bald weiterfahren zu können?
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Wenn Ihr Waschbeckenabfluss
verstopft ist, würden Sie dann lieber diesen mit einer vorhandenen Pumpe
sofort frei machen oder lieber einen kostspieligen Abflussdienst
beauftragen, damit dieser mit moderner Technik die Ursachen der
Verstopfung feststellt?
In der Psychotherapie ist es auch oft so, dass
es viel leichter ist, sofort eine Lösung zur Verbesserung der Situation
auszuprobieren, als wochen- oder monatelang nach „Ursachen“ zu forschen.
Es kommt hinzu, dass die Kenntnis der Ursachen nicht unbedingt
weiterhilft. Was nutzt es Ihnen zu erfahren, dass Sie ein ungünstiges
Verhalten ausüben, weil Sie dieses von Ihrem Großvater übernommen haben?
Hilft Ihnen diese Erkenntnis im praktischen Sinn weiter? Haben Sie nicht
möglicherweise sehr viel Zeit durch „Ursachenforschung“ verloren? Bei
manchen entdeckten Ursachen bleibt einem manchmal auch nichts anderes
übrig, als das Fehlen einer entsprechenden „Lösung“ zu betrauern. Dies
kann sehr heilsam, also seinerseits eine gute Lösung sein!
Auch folgende Geschichte zeigt, dass man nicht
immer alles genau wissen muss, um eine Lösung zu entwickeln: Ein Therapeut
nahm beim Verlassen der Wohnung – er war in Eile, weil er eine
Theateraufführung nicht versäumen wollte – noch ein Telefonat an. Es war
ein Patient, den er vor vielen Jahren behandelt hatte und der jetzt in
einer schweren Krise war. Der Patient flehte um einen Ratschlag. Leider
erinnerte sich der Therapeut nicht mehr an Einzelheiten der Behandlung. So
gab er ihm die allgemeine Empfehlung, dasselbe noch einmal zu machen, was
ihm schon damals in der Therapie geholfen hatte (er selbst wusste es
leider nicht mehr). Einige Tage später rief der Patient und dankte für die
wertvolle Anregung. Sie habe ihm sehr gut geholfen. Da der Therapeut nicht
nachfragte, blieb ihm bis heute verborgen, auf welche Weise der Patient
sein Problem bewältigt hatte. |