Wesentlich für den Erfolg einer Therapie von Drogensüchtigen ist die
Aufarbeitung der Ursachen. Wenngleich diese auf mehrere Faktoren
zurückzuführen sind, scheinen Traumatisierungen in der Kindheit die Häufigkeit
späterer Suchterkrankungen zu erhöhen. Eine der schwerwiegendsten Formen der
Traumatisierungen stellen der Kindesmissbrauch und insbesondere der sexuelle
Missbrauch dar. Laut einem Bericht in der Zeitschrift "Fortschritte der
Neurologie, Psychiatrie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart) hat der sexuelle
Missbrauch ein vierfach erhöhtes Risiko zur Folge für die spätere Entwicklung
psychiatrischer Erkrankungen sowie ein dreifach erhöhtes Risiko für
Suchterkrankungen. Während sich in der Allgemeinbevölkerung bei wenigstens
sieben Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer sexueller Missbrauch in
der Kindheit eruieren lässt, so ergab eine jüngste Studie, dass drei- bis
viermal so viele Drogen-Patienten in der Kindheit sexuellen Missbrauch
erlitten wie die hier aufgeführten Werte in der Normalbevölkerung. Zählt man
die mittelschweren Missbrauchsfälle dazu, dann erhöht sich das Verhältnis
gegenüber der Normalbevölkerung um den Faktor sieben bis acht. Auch für
körperliche Misshandlungen und für psychische Vernachlässigung in der Kindheit
konnten ähnliche Risikopotenziale festgestellt werden.
Eine detaillierte Untersuchung ergab, dass
Suchtpatienten mit Missbraucherfahrung in der Kindheit einer vielfach höheren
psychischen Symptombelastung ausgesetzt waren als Suchtpatienten, die keinen
Missbrauch erlitten haben. Bei vielen psychischen Symptomen, wie
Somatisierung, Zwanghaftigkeit, Depressivität oder Aggressivität hatten die
drogenkranken Patienten mit sexuellem Missbrauch, Vernachlässigung, familiärer
Gewalt oder emotionaler Misshandlung signifikant schlechtere Werte, etwa auf
dem Niveau von schizophrenen Patienten. Mit diesen neuen Erkenntnissen kann
eine differenzierte Therapie unter Berücksichtigung der Ursache der
Symptombelastung ermöglicht und die Therapiechance für die Drogenpatienten –
derzeit unter 30 Prozent – verbessert werden.
Der Einfluss kindlicher
Traumatisierungen auf eine spätere Drogenabhängigkeit.
Fortschr Neurol Psychiat 2006; 74; Nr. 9;
S. 511-521.
Prof. Dr. Micheal Soyka, Psychiatrische
Universitätsklinik.
E-Mail: michael.soyka@med.uni-muenchen.de |