USA. In einem Übersichtsbeitrag beschreibt M. Irwin, wie bis in die
jüngsteVergangenheit versucht wurde, schizophren erkrankte Menschen zu
heilen. So galten bis zur Hälfte des letzten Jahrhunderts
Behandlungsmethoden als Standard, die Hirnnervenzellen töteten (wie
Elektroschock, Insulinkoma, frontale Lobotomie, künstliche Auslösung von
Krampfanfällen). Diese martialischen Maßnahmen verloren fast schlagartig
ihre Bedeutung, als mit der Einführung von Chlorpromazin erstmalig ein
wirksames Arzneimittel zur symptomatischen Behandlung zur Verfügung stand.
In seinem Überblick
veranschaulicht Irwin, dass auch die Entwicklung der Neuroleptika die
Grundprognose der Schizophrenie allerdings nicht wesentlich verbessert
hat. Dies deutete sich bereits in den mit Chlorpromazin durchgeführten
kontrollierten Langzeitstudien an, in denen mit Plazebo behandelte
Patienten teilweise besser abschnitten. Offenbar können 20 bis 64 Prozent
der Schizophrenie-Kranken damit rechnen, auch ohne Behandlung langfristig
wieder symptomfrei zu werden. Eine solche Remission ist nicht kalkulierbar
und kann selbst nach Jahrzehnten eintreten. Wie es scheint, eröffnet die
Anwendung von Neuroleptika diesbezüglich keine grundsätzlich günstigeren
Aussichten. Die Stärke von Neuroleptika scheint vor allem eine rasche
Symptomkontrolle zu sein, die den Betroffenen und seine Umwelt
gleichermaßen entlastet.
Auch die Annahme,
dass Neuroleptika Rückfällen vorbeugen, versieht der Autor mit einem
Fragezeichen. Nach seiner Ansicht leiden die zu diesem Aspekt
durchgeführten Studien an methodischen Fehlern. So wurden beispielsweise
die geprüften Substanzen meist abrupt abgesetzt. Im Vergleich zu einem
langsamen Ausschleichen der Behandlung verdreifacht allein schon dies die
Rezidivgefahr.
Nicht zuletzt wundert
sich Irwin, warum Schizophrenie-Kranke in Entwicklungsländern fast immer
eine bessere Prognose haben, obwohl dort weniger Medikamente eingesetzt
werden. Unter anderem ist denkbar, dass dafür andere Grundeinstellungen
(„Überzeugungen“) und ein größerer Zwang zur Arbeit verantwortlich
zeichnen. Mangels finanzieller Unterstützung müssen psychisch kranke
Menschen in Entwicklungsländern oft häufiger ihren Lebensunterhalt
erwirtschaften als in industrialisierten Ländern. Dies wiederum kann ihnen
zu einem höheren sozialen Status verhelfen, mehr Sozialkontakte eröffnen
und das Selbstwertgefühl steigern. Anders als Patienten industrialisierter
Staaten „droht“ ihnen nicht die Gefahr, im Falle einer Gesundung
finanzielle oder andere soziale Verluste zu erleiden. Mangels Zugang zu
Psychopharmaka kann zudem keine „Gewöhnung“ an solche Substanzen erfolgen.
M.
Irwin: Reversal of schizophrenia without neuroleptics? Ehtical Human
Psychology and Psychiatry 2004 (6) 53-68 |