"Der Kern des Aikidō
ist es, Harmonie mit der Bewegung des Universums zu erlangen und mit dem
Universum selbst in Einklang zu sein. Wer zum Kern des Aikidō gelangt ist,
hat das Universum in sich und kann sagen: ich bin das Universum."
Morihei Ueshiba, Begründer des Aikidō
Zitiert nach Stefan Stenudd
Abbildung 3:
im Dōjō …
Im Aikidō lernt man,
mit der Kraft des Partners zu arbeiten! Der Angriff des
Partners wird durch Eintreten in sein
Zentrum
aufgenommen. Das bedeutet, die Angriffsenergie, z. B. eines Schlags, wird
nicht blockiert, sondern weiter geleitet und für die weitere Bewegung
genutzt. Der Angreifer (Uke)
gibt durch seinen Angriff den Impuls zur Bewegung. Der Verteidiger (Nage)
reagiert auf diesen Impuls, nimmt die Energie auf und lenkt diese in die
richtigen Bahnen. Dabei kommt es für den Nage darauf an, einen guten Stand
– sprich ein gutes Zentrum – und die richtige Distanz bzw. Positionierung
zum Partner zu haben. Hat der Angegriffene keinen stabilen Stand, würde er
selbst sein Gleichgewicht verlieren.
Ohne den Impuls eines echten Angriffs gibt es für den Verteidiger keinen
Grund sich zu bewegen oder sich zu verteidigen! Ganz im Gegenteil: würde
der Verteidiger den Angreifer trotzdem bewegen wollen, so käme dies einem
Rollentausch gleich. Der Angegriffene würde zum Angreifer! Tut er dies
trotzdem, so wird aus der gemeinsamen Übung bestenfalls eine „schöne“
Choreografie – eine inhaltslose Bewegung.
Gleiches würde geschehen, wenn sich der Uke in Kenntnis der Übung
automatisch bewegt. Damit würde er dem Nage ein falsches Bild seiner
Fähigkeiten vorspiegeln.
In beiden Fällen nehmen sich die Partner die
Möglichkeit der gemeinsamen Weiterentwicklung – ein gemeinsames Lernen ist
nicht bzw. nur eingeschränkt möglich.
„Das Weiche besiegt
das Harte“. Diese Erfahrung hat jeder gemacht, der schon mal versucht
hat, eine Katze fest zu halten. Je stärker der Griff des Uke ist, umso
weicher wird die Reaktion des Nage! Kraft wird nicht mit Kraft, sondern
mit Weichheit beantwortet. So kann ein Angreifer zwar ein
Handgelenk des Partners halten, aber nie den „ganzen Partner“ an der
Bewegung hindern.
Es gibt keinen „falschen
Angriff“! Angriff sowie Verteidigung werden immer der Erfahrung des
Partners angepasst. Ein unerfahrener Angreifer, der ohne richtiges Maß
überhart angreift, darf nicht wie ein erfahrener Angreifer behandelt
werden.
Wird ein Fortgeschrittener zu heftig angegriffen, so wird der ungestüme
Angreifer schnell mit sich selbst konfrontiert: er wird einen Teil seiner
eigenen Angriffsenergie spüren.
Wird bei einem Angriff die Kompetenz des Partners überschritten, so wird
dieser überfordert und verfällt leicht in seine ihm vertrauten
Verhaltensmuster, mit denen er unter Stress reagiert. Dies kann zu
Verletzungen führen.
Es ist ganz leicht, einen Menschen zu verletzen. Ungleich schwerer ist
trotz überhartem Angriff angemessen zu reagieren und den Angreifer als
Partner mit der ihm gebührenden Wertschätzung zu behandeln.
Ein erfahrener Aikidōka kann mehr
gefordert werden, während ein unerfahrener mit besonderer Weichheit und
klarer Führung behandelt wird. Die Kunst ist immer seinem Partner und der
Situation entsprechend angemessen zu handeln. So entsteht eine gemeinsame
dynamische und
energievolle Bewegung, welche einen echten Austausch der Partner
darstellt.
Erfahrene Aikidōka gehen
angemessen mit ihren körperlichen und geistigen Kräften (und denen
des Angreifers) um. Ihre Bewegungen erfolgen aus einem ruhigen und
stabilen Zentrum heraus – sie „ruhen in sich“. Durch ihr langjähriges
Training erfolgt ihre Wahrnehmung immer mehr über den Körper – der Kopf
wird entlastet.
Viele von uns kennen diese Art der Wahrnehmung
aus dem Alltag: So spüren wir meist unbewusst, wenn wir von anderen
Menschen angesehen werden, auch, wenn dies hinter unserem Rücken
geschieht. Genauso erkennt ein guter Masseur die Verspannungen seiner
Klienten mit den Händen. Er erspürt sie aufgrund seiner Bewusstheit und
Erfahrung!
Die Aikidōka nutzen ihre
langjährige Erfahrung, sprich das, was im normalen Sprachgebrauch als
Intuition bezeichnet wird. So bleibt zum Beispiel im „Freikampf“ (Jiyu-Waza)
mit mehreren Partnern keine Zeit für eine „intellektuelle Analyse“ des
Geschehens! Die Reaktion auf den Angriff erfolgt intuitiv und
unvoreingenommen – ohne Bewertung! Dazu bleibt auch beim gleichzeitigen
Angriff mehrerer Partner keine Zeit!
Elementar ist hier die richtige Präsenz: Aufmerksamkeit, Bewusstheit
und das Gefühl für das rechte Maß, Beobachtung ohne Bewertung
befähigen den Übenden, das Richtige zum rechten Zeitpunkt zu tun. Diese
Fähigkeiten, die im Aikidō u. a. durch die intensive Wiederholung der
Übungen entwickelt und fundiert werden, spielen auch im Alltag (zum
Beispiel in der Kommunikation) eine wichtige Rolle.
Besonders wichtig in der
Arbeit mit einem oder mehreren Partnern ist es die Anzahl der
möglichen Optionen auf einen Angriff zu maximieren.
Schon in der Arbeit mit einem Partner ist es von Bedeutung, sich nicht von
vorneherein auf eine bestimmte Verteidigung festzulegen. Wenn die
angestrebte Technik „nicht funktioniert“, so ist eine andere Antwort
erforderlich. Idealerweise hat der Verteidiger (Nage)
immer verschiedene Möglichkeiten im Repertoire auf einen Angriff zu
reagieren.
Im Freikampf und in der
Arbeit mit mehreren Partnern ist dies noch wichtiger; denn aufgrund des
gleichzeitigen Angriffs mehrerer Partner und der daraus entstehenden
Dynamik kann die Situation nur durch vorausschauendes und ruhiges
Handeln kontrolliert werden.
Das Verhalten der Angreifer im Freikampf, evtl. drei bis fünf Personen,
ist nicht im Vorhinein abzustimmen und festzulegen. Deshalb nimmt
der Nage das Geschehen aktiv in die Hand, in dem er Kontakt zu einem
ausgewählten Angreifer aufnimmt und dessen Angriffsenergie kontrolliert
nutzt. Der Angegriffene wartet also nicht passiv ab, was geschehen
wird.
Durch sein Verhalten und durch den vollkommenen Verzicht von Gewalt
sichert er sich so möglichst viele alternative Handlungsoptionen.
Aikidō ist „lernen
über den Körper“. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass unser
„Erinnerungswert“ abhängig ist von der Anzahl der angesprochenen Sinne:
Wenn wir etwas lesen, so behalten wir davon annähernd 10%. Erfolgt unsere
Wahrnehmung über hören und sehen gleichzeitig, so sind dies schon über
50%.
Im Aikidō wird zum Lernen der eigene Körper eingesetzt – der
„Erinnerungswert“ steigt damit auf über 90%!
Gleichzeitig ist Aikidō
eine Geisteshaltung. Es beschränkt sich nicht auf die Matte bzw. das
Dōjō.
Kommt zur Übung die Reflexion des Handelns hinzu, so ist für die
Übertragung in den Alltag die beste Grundlage gelegt.
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