Auch wenn Aikidō von
außen betrachtet leicht und elegant aussieht, sind die Bewegungen
hochkomplex und das Ergebnis langjähriger praktischer Übung.
Die wahre Komplexität der Bewegungsabläufe erschließt sich erst in der
praktischen Arbeit mit dem Partner, und dann auch erst nach vielen Jahren.
So ist z.B. der 1. Dan („der erste schwarze Gürtel“) ein von vielen
Übenden angestrebtes Ziel; allerdings fängt das Lernen dann erst richtig
an: die eigene Erfahrung sollte nun an andere Übende weiter gegeben
werden, im Training wird man durch die anderen Übenden stärker gefordert,
die Arbeit mit Anfängern stellt immer wieder vollkommen neue
Herausforderungen!
Wirkliches Lernen,
welches als Ziel die Entwicklung von beruflicher Handlungskompetenz (vgl.
Kompetenzentwicklung)
hat, zeigt auffallend viele Gemeinsamkeiten mit der Aikidopraxis. Dabei
spielt es keine Rolle, ob es sich um Lernen in Seminaren und Workshops, in
Projekten oder in der Zusammenarbeit mit bzw. unter Anleitung von Kollegen
und Mitarbeitern handelt.
Die wichtigste
Voraussetzung für echtes Lernen ist die Fähigkeit, Aufgaben und
Situationen mit den Augen eines Anfängers (Shunryū Suzuki:
„Zen-Geist – Anfänger-Geist“) zu betrachten.
Wenn ich im Aikidō mit
einem unbekannten Partner arbeite, ist dies immer eine neue und unbekannte
Situation.
Übertragen auf die Projektarbeit in Organisationen bedeutet Projektarbeit
immer Zusammenarbeit mehrerer Menschen mit unterschiedlicher Bildung und
sozialer Prägung.
Ein Projekt ist charakterisiert durch
·
die unklare Aufgabenstellung.
·
Das Team wird meist neu,
aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen, zusammengestellt: eine Gruppe
von Menschen mit unterschiedlichem fachlichen Hintergrund und
(persönlichen) Interessen soll eine komplexe Aufgabe gemeinsam lösen;
darüber hinaus sprechen sie „verschiedene Sprachen“, …
·
Projektarbeit steht meist unter
Zeit- und Erfolgsdruck!
·
Niemand hat diese
Situation je zuvor gemeistert. Sie ist ohne „Vorbild“. Gemeinsam betreten
die Mitarbeiter Neuland. Es ist zu Beginn meist unklar, ob die Aufgabe im
Zeit- und Budgetrahmen gemeistert werden kann.
·
Ein komplexes Umfeld (Kollegen,
Unternehmen, Kunden, Umfeld, Markt, …) ist zu berücksichtigen.
Es kommt darauf an, im
Team eine gemeinsame Orientierung und Verständnis der Aufgabe zu
erarbeiten. Und hier müssen die Kompetenzen und die Energie aller
Beteiligten genutzt werden.
Ein Projekt ist der Beginn eines gemeinsamen Lernprozesses,
der vereinfacht aus folgenden Schritten besteht:
Abbildung 6:
Projekt als gemeinsamer
Lernprozess
Lediglich die Erfahrung
und Präsenz der Projektmitarbeiter kann helfen, in dieser unsicheren und
risikobehafteten Situation Ruhe und Überblick zu bewahren.
Viele unterschiedliche Erwartungen treffen aufeinander. Der Auftraggeber
hat meist ein anderes Verständnis als das Projektteam. Diese
unterschiedlichen Perspektiven gilt es zu verstehen und zu einem
gemeinsamen Ziel zusammen zu führen.
Wichtig in der Projektarbeit ist vor allem dieser Prozess! Im Verlauf der
gemeinsamen Arbeit bewegen sich die Projektbeteiligten aufeinander
zu; sie durchlaufen eine gemeinsame Entwicklung! Aus dem zu Beginn
unterschiedlichen Verständnis der Projektziele ist im Verlauf des
Projektes ein gemeinsames Bild über die zu realisierenden Ergebnisse
entstanden.
Abbildung 7:
gemeinsames Lernen
(an einer scheinbar unlösbaren Aufgabe)
Projektarbeit ist immer auch kreative Arbeit und eine fortwährende
Konfrontation mit unbekannten Personen, Fragestellungen und Aufgaben: es
gibt nicht die eine und einfache Lösung.
Auch hier gibt es Analogien zum Freikampf (Jiyu-Waza)
im Aikidō. Der Aikidōka ist mit mehreren Angreifern konfrontiert. Es gilt,
unter Druck Ruhe und Übersicht zu bewahren. Jeder Angreifer benutzt eine
andere Angriffsform; die Angreifer kommen nahezu gleichzeitig aus allen
Richtungen. Der Verteidiger (Nage)
ist auf seine Intuition (seine Präsenz und die Summe seiner Erfahrungen)
angewiesen und wählt aus seinem Repertoire die angemessene Verteidigung.
Durch sein gesundes Selbstvertrauen und die richtige Einschätzung der
Situation gelingt es ihm, die Energie des kompletten Teams für die
gemeinsame Entwicklung zu nutzen.
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