Herr X hat sich selbst entschlossen, wann er
die Therapie beenden, sich also von mir "trennen" will. Diesen Entschluss
hat er mir schon in der 11. Sitzung mitgeteilt. Damit zeigt er sehr viel
Autonomie, die vielen depressiven Patienten sonst fehlt (auch in diesem
Punkt ist Herr X alles andere als typisch). Denn depressive Patienten
können sich oft nur sehr schlecht trennen, was man beispielsweise daran
merkt, dass sie immer weiter sprechen wollen, auch wenn die Therapiestunde
längst vorbei ist. Selten schlagen sie von sich aus vor, die Therapie zu
beenden. Oft leiden depressive Patienten unter dem inneren Konflikt, sich
einerseits Nähe und andererseits Unabhängigkeit zu wünschen (wobei sie
sich letzteres nicht zugestehen). Herr X kann offenbar sehr gut "abschiedlich"
leben! Therapeuten müssen immer
darauf achten, dass ihre Patienten im Rahmen der Therapie nicht in eine
(neue) "Abhängigkeit" geraten. Daher sollten Therapien zeitlich
überschaubar sein und auf eine Verselbstständigung des Patienten abzielen.
Viele Therapien finden daher in der Schlussphase nur noch in größeren
Abständen statt, so dass der Patient immer mehr "auf eigene Beine
gestellt" ist. Gelegentlich besteht dabei die Gefahr, dass die Beziehung
auch "einschläft" und daher dauerhaft kein "gutes Modell" mehr ist. Da
sich Depressive mit Trennungen schwer tun, sollte gerade dieses Thema in
der Schlussphase besondere Aufmerksamkeit (insbesondere auch im Sinne der
"Metakommunikation" erhalten. So kann der Patient erleben, dass sich
Trennungen auch konstruktiv bewältigen lassen. Zu den therapeutischen
Grundvereinbarungen gehört daher für mich auch die Regel, dass die
Therapie zwar jederzeit beendet werden kann, dass vorher aber mindestens
drei Abschlussgespräche stattfinden müssen. Darin können dann
Trennungsthemen vertieft, mögliche "Beziehungsstörungen" geklärt und ein
"lastenfreier" Abschied ermöglicht werden. |