Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Möglichkeiten telematischer Anwendungen in der Psychotherapie im Praxisalltag - Hindernisse und Erfahrungen

 
Zusammenfassung eines Vortrags, am gehalten 13.11.2008 im Rahmen des Workshops "Online-Beratung in der Psychiatrie und Psychotherapie. 13.11.2008 in Köln


Obwohl in Deutschland immer mehr Menschen „online“ sind und große Teile der Bevölkerung täglich das Internet nutzen, scheint „Online-Beratung“ in Psychiatrie und Psychotherapie nach wie vor kein sonderlich bedeutendes Thema zu sein. Abgesehen von einigen wenigen Modell-Projekten wird die Online-Beratung von den beiden Fachdisziplinen zumindest öffentlich nicht sonderlihc Rahmen diskutiert.

Dafür zeichnen mit großer Wahrscheinlichkeit die derzeitigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verantwortlich, von denen sechs beispielhaft genannt seien:

  1. die Ärztliche Berufsordnung Nordrhein (ähnlich „Musterberufsordnung“), wo es in § 7 (3) heißt: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, weder ausschließlich brieflich noch in Zeitungen oder Zeitschriften noch ausschließlich über Kommunikationsmedien oder Computerkommunikationsnetze durchführen.“
    Etwas großzügiger heißt es in § 5 (5) der Musterberufsordnung für psychologische Psychotherapeuten:
    „Psychotherapeuten erbringen psychotherapeutische Behandlungen im persönlichen Kontakt. Sie dürfen diese über elektronische Kommunikationsmedien nur in begründeten Ausnahmefällen unter Beachtung besonderer Sorgfaltspflichten durchführen. Modellprojekte, in denen psychotherapeutische Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden, bedürfen der Genehmigung durch die Kammer und sind zu evaluieren.“
  2. Gesetzliche und private Gebührenordnungen (EBM2000plus bzw. GOÄ) sehen bis heute KEINE Abrechnungsmöglichkeiten für Online-Beratungen vor.
  3. Manche „Gutachter“ lehnen vor allem Therapieanträge für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ab, wenn diese auf die Nutzung einer zusätzlichen Email-Beratung hinweisen. Sie begründen dies damit, dass die einschlägigen Bestimmungen Entsprechendes nicht vorsehen, die Methode selbst keine Emails kenne und dass für ein solches Vorgehen ungenügende wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit vorliege.
  4. Viele Ärzte scheuen vor unnötigen rechtlichen und organisatorischen Problemen bei der Nutzung des Internets zurück, zumal bis vor kurzem rigorose Regelungen galten, die eine Vernetzung des Praxiscomputers mit dem Internet erschwerten. Außerdem sind mit dem erforderlichen Datenschutz erhöhte Kosten verbunden, die sich vermutlich allein durch Online-Beratung nicht decken lassen. Nicht zuletzt lassen auch ständige „Warnmeldungen“ zurückschrecken, die bei formal fehlerhaften Verhalten im Internet kostspielige „Abmahnungen“ in Aussicht stellen. 
  5. Viele Ärzte sehen keinen Sinn darin, in einer oft angespannten wirtschaftlichen Situation eine weitere unwirtschaftliche und aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen komplizierte Baustelle zu eröffnen. Schon jetzt leiden fast alle Ärzte unter den ständig zunehmenden Dokumentations- und Weiterbildungspflichten sowie den laufend sich verändernden gebührenrechtlichen Bestimmungen.
  6. Die Abrechung von „Online-Beratung“ lädt zu einer komplizierten „Gebührenakrobatik“ ein. Denn in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)  gibt es keine „Gebührenziffer“ für Internetleistungen, sondern zunehmend nur noch Pauschalen (mit denen dann ggf. solche Zusatzleistungen abgegolten wären). Es bleibt daher nur übrig, mit GKV-Patienten von ihnen selbst zu finanzierende sog. IGEL-Leistungen zu vereinbaren. Dies führt aber unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu Ungerechtigkeiten (ärmere Menschen könnten sich Online-Beratung nicht leisten). Außerdem würde der zusätzliche Erklärungsbedarf den Beginn einer Therapie unnötig komplizieren. Weiterhin dürfte es häufig schwierig sein abzugrenzen, wann eine Beratung als GKV-Leistung geschuldet und wann als sie IGEL-Leistung zu betrachten ist. In der privaten Krankenversicherung gibt es zumindest eine auch auf Telefonberatungen anwendbare Ziffer, die sich ggf. „analog“ auf Emailberatungen wenden lässt. Mitunter muss dies mit der jeweiligen Versicherung verhandelt werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Gebührensatz für reguläre psychotherapeutische Leistungen mit der Begründung anzuheben, dass damit auch die Online-Beratung abgegolten wird. Das wird am ehesten bei Verhaltenstherapien Aussicht auf Erfolg haben. Es gibt zur Anwendung von modernen Medien in der Psychotherapie offenbar keine einheitliche Praxis bei den Privatversicherern bzw. deren Gutachtern.

Da keine oder nur wenige wissenschaftliche Studien zur Online-Beratung in Einzelpraxen vorliegen, kann vorerst nur auf „Erfahrungen“ zurückgegriffen werden. Die Erfahrungen des Autors beruhen auf mittlerweile siebenjähriger Online-Beratung, von der rund 200 Patienten Gebrauch machten. In diesem Zeitraum kam es zu rund 16.000 Email-Kontakten, von denen rund zwei Drittel auf Schreiben der Patienten und ein Drittel auf Antworten des Therapeuten entfielen. Dabei zeichnete ein Viertel der Klienten (n = 49) für rund 90 Prozent der Email-Kontakte verantwortlich. Die „Extremfälle“ (10 Prozent) lösten im Einzel 200 bis 600 Kontakte aus. Bei den „Spitzenreitern“ der Email-Nutzer waren allem folgende Diagnosen am häufigsten vertreten: Depression, Borderline-Störung, Essstörung, posttraumatische Belastungsstörung, narzisstische Persönlichkeitsstörung sowie Angststörungen.

Alle Patienten stand die Email-Beratung als Teil der vom Autor entwickelten „internetgestützten Psychotherapie“ (IP) zur Verfügung. Für diese gilt:

  1. IP befasst sich als „Therapie“ mit der Behandlung von „Krankheiten“. Sie wird im Rahmen der ärztlichen Berufsordnung, der Psychotherapie-Richtlininen sowie der existierenden Gebührenordnungen auf der Grundlage anerkannter Therapieverfahren ausgeübt.
  2. IP hält sich an die Regel, dass „Ferndiagnosen“ und „Ferntherapien“ nicht gestattet sind und eine ausschließliche Online-Beratung verboten ist.
  3. IP sieht ihren unverzichtbaren Kern in der personalen Begegnung (Interaktion) zwischen Therapeut und Patient.
  4. IP betrachtet eine ausreichend gute „therapeutische Beziehung“ als unverzichtbare Grundlage des psychotherapeutischen Heilungs- bzw. Entwicklungsprozesses.
  5. IP nutzt Möglichkeiten des Internets zur Optimierung der Behandlung und der therapeutischen Beziehung (insbesondere in der Phase zwischen zwei Begegnungen). 
  6. IP ergänzt sinnvoll die Angebote der anerkannten Therapieverfahren, ohne diese zu ersetzen.
    IP ist als Begriff nicht geschützt und entbehrt bislang offizieller Akzeptanz.
 


 

Der idealtypische Ablauf einer internetgestützten Psychotherapie ist dem oben stehenden Schema zu entnehmen.

Eine Online-Evaluation (n = 417) bescheinigt der Praxis-Website mit ihren psychoedukativen Angeboten, dass diese von den Website-Besuchern in über 80 Prozent als „sehr hilfreich“ erlebt werden. Ähnliches spiegelt sich in 165 Spontanzuschriften zur Website wider, die beim Autor im Zeitraum von 1/2005 bis 11/2008 eintrafen.

In einer offen gehaltenen Befragung von 33 Intensiv-Nutzern des Online-Beratungsangebots benannten diese unter anderem folgende als hilfreich erlebte Aspekte:

  1. Leichte und anonyme Kontaktaufnahme
  2. Herstellung von „Beziehung“ und Aufbau von Vertrauen schon im Vorfeld des ersten Treffens
  3. Gefühl, zwischen den Sitzungen nicht alleine gelassen zu sein
  4. Rasche Verfügbarkeit von Hilfen in Krisensituationen
  5. Förderung von Motivation zwischen den Sitzungen (am Thema bleiben)
  6. Leichte und entspannte Möglichkeit der Selbstmitteilung, weniger Scham
  7. Schreiben hält dazu an, präsiser zu formulieren (auf den Punkt bringen)
  8. Dokumentation der eigenen Entwicklung, Möglichkeit zum Nachlesen
  9. Optimierung der Therapiesitzungen durch Vor- und Nachbereitung
  10. Wirtschaftlichkeit: größere Sitzungsabstände, weniger Anfahrten, Datenerhebung außerhalb der Sitzungen
  11. Vertiefende Informationen auf der Praxis-Website
  12. Weniger „Erzähldruck“ in der Sitzung, dadurch raschere Konzentration auf Lösungen, Übungen bzw. die therapeutische Situation
  13. Das Wissen, dass die Zeilen gelesen werden (anders als bei einem Tagebuch) tut gut (der Patient erlebt sich wahrgenommen, fühlt sich gehört)
  14. Angenehmes Gefühl dauerhafter Verbundenheit („Telepräsenz“)
  15. Zur Verfügungstellung einer „äußeren Struktur“: Äußerer Ansporn durch Nachfrage und Kontrolle
  16. Gefühl, der einzige zu sein, auf den sich der Therapeut konzentriert
  17. Möglichkeit, spontan Emotionen mitzuTEILEN
  18. Begleitung während Klinikaufenthalten
  19. Weniger Gelegenheit „zu verdrängen“
  20. Tieferer Einblick in den Patientenalltag und momentane Gefühle des Patienten

Alle 33 Stellungnahmen sind auf der Praxis-Website veröffentlicht:  http://www.dr-mueck.de/HM_Innovationen/Internettherapie/Internettherapie.htm

2005 wurden die bis dahin vorliegenden 22 Stellungnahmen separat ausgewertet: http://www.praxisforschung.de/2005/Internettherapie_Einleitung.htm

An einer Untersuchung des Autors beteiligten sich 200 seiner Patienten und beurteilten retrospektiv die Wirkungen ihrer Psychotherapie. Dabei machten sie Angaben zu ihren Befindlichkeiten zu drei Zeitpunkten (Beginn der Therapie, Ende der Therapie, 1 Jahr nach der Therapie). Zahlreiche Parameter besserten sich eindrucksvoll (um ca. 2 Schulnoten), insbesondere sank die Zahl der jährlichen Hausarztbesuche drastisch (um rund 50 Prozent). Der Effekt blieb vom Ende der Therapie bis zum Zeitpunkt der Befragung stabil, wobei die Zahl der Hausarztbesuch nach Ende der Therapie weiter sank. Diese Effekte waren in der Gruppe der Patienten aus der Vorinternet-Epoche und in der Gruppe IP-behandelter Patienten ähnlich stark. Allerdings tendierten in der IP-Gruppe mehr Parameter dazu, sich auch nach Abschluss der IP weiter zu verbessern. Möglicherweise wirkt IP also nachhaltiger.

Aus der Sicht des Beratungsanbieters lassen sich nach sieben Jahren praktischer Erfahrung folgende Erkenntnisse bzw. Empfehlungen festhalten:

  1. Website und Emails optimieren das Matching von Klient und Therapeut.
  2. Website und Emails setzen den Therapieprozess bereits während der Wartezeit auf den Therapieplatz in Gang und fördern den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses schon vor dem Erstgespräch.
  3. Emails und Website sind Zusatzangebote. Sie können NIE die reale Begegnung ersetzen, sondern immer nur diese ergänzen!
  4. Auch IP hat sich dem Patienten anzupassen und nicht umgekehrt.
  5. Emails erleichtern organisatorische Abläufe und deren verbindliche Dokumentation (weniger Missverständnisse, „Absicherung“), sie entlasten die Therapiesitzung von Formalitäten.
  6. Viel hilft nicht viel und nicht jeder Patient zieht aus den gleichen Angeboten auch den gleichen Nutzen. Vorsicht: „Suchtgefahr!“
  7. Email-Kontakte halten bei größeren Sitzungsabständen und insbesondere auch räumlicher Distanz den therapeutischen Prozess am Laufen.
  8. IP fördert eindeutig die therapeutische Beziehung. Vermehrten Nutzen ziehen daraus vermutlich vor allem unsicher gebundene Personen (wobei die Häufigkeit des Kontakts hier leicht „ausartet“): virtuelle „Dauerpräsenz“. 
  9. Eine eindeutige Stärke von Email-Kontakten ist die Möglichkeit, rasch aufeinander zu reagieren, ohne sich auf gemeinsame Zeitfenster (wie beim Telefonieren) festlegen zu müssen. Über die Priorität der Beantwortung entscheidet der Therapeut, es gibt keinen „Warteschlangen-Stress“.
  10. Über Email-Kommunikation können sich manche Patienten anders (reflektierter!) mitteilen als im Face-to-Face-Kontakt, wo sich offenbar aufgrund entsprechender Trigger schneller Übertragungen einstellen und die Patienten dann eher in Ressource-ärmere Zustände wechseln.
  11. Die meisten Patienten erwarten keine extensiven Ausführungen in Emails. Wichtig scheint Ihnen, überhaupt und ausreichend rasch eine Reaktion zu erhalten und in ihren Nöten wahrgenommen zu werden.
  12. Die Regeln des „Email-Verkehrs“ müssen (!) unbedingt im Vorfeld klar vereinbart werden, sonst entstehen unnötige Konflikte, fehlt den Patienten ein gesundes Maß, werden Wartezeiten als bedrohliches Loch empfunden und droht dem Therapeuten rasch ein Burnout.
  13. Konflikte und strukturelle Defizite, die den Patienten zu einer Therapie bewegen, „inszenieren“ sich meist auch rasch im Email-Verhalten. Die mit Emails eröffnete Dokumentationsmöglichkeit erleichtert es, dieses Verhalten dem Patienten zu veranschaulichen.
  14. IP beschleunigt nicht unbedingt die Entwicklung, da Entwicklung Zeit braucht. Sie gestattet jedoch größere Sitzungsabstände und begünstigt möglicherweise nachhaltigere Ergebnisse. Ob sie wirtschaftlicher ist, erscheint aufgrund eigener Untersuchungen fraglich
  15. Das Kommunikationsverhalten sollte sich am Konzept der „Feinfühligkeit“ orientieren sowie „gewaltfrei“ und möglichst wertschätzend sein.
  16. IP zieht vor allem solche Patienten an, die aus ihr besonderen Nutzen ziehen. Dementsprechend ist die Klientel eher jünger und gebildeter (dadurch auch eher privat versichert).
  17. Email-Kommunikation zwischen zwei Therapie-Sitzungen erleichtert es, diese auf einer Metaebene zu reflektieren und damit das Einnehmen exzentrischer Positionen zu üben.
  18. Es ist weiterhin schwierig, bei Versicherungsträgern Akzeptanz für IP zu finden. Während private Krankenkassen mitunter eine Abrechnung über „Analogziffern“ oder eine begründete Erhöhung des „Steigerungssatzes“ akzeptieren, scheitert IP in der GVK am Fehlen von Abrechnungsmöglichkeiten. Sie kommt allenfalls als IGEL-Angebot zum Tragen. IP ist daher bislang in Deutschland überwiegend unwirtschaftlich.
  19. Gebotene Datenschutzmaßnahmen sollten Spontaneität und Wirtschaftlichkeit des Online-Datenflusses nicht behindern.  

Online-Beratung erfordert auf Seiten des freiberuflichen Anbieters (Einzelpraxis) sehr viel Selbstdisziplin, um das eigene Engagement nicht ausufern zu lassen. Dafür wäre es hilfreich, wenn sich Anbieter von Online-Beratung in Qualitätszirkeln zusammentun und sich gegenseitig Intervision anbieten würden. Momentan scheitert letzteres noch daran, dass es offenbar noch zu wenige Anbieter gibt, die sich zudem untereinander noch nicht kennen.

Autor: Dr. Dr. med. Herbert Mück
Facharzt für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie
Lehrbeauftragter an der Europafachhochschule Fresenius, Köln
Pattscheider Weg 29
51061 Köln
Email: kontakt@dr-mueck.de

Internet: www.dr-mueck.de
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