Der kunstvolle „Umgang
mit Widerstand“ gehört neben dem Reflektieren ebenfalls zu den
besonders anspruchsvollen Aspekten von Motivational Interviewing. Wie
schon eingangs erwähnt, betrachtet Motivational Interviewing „Widerstand“
als das Ergebnis einer Beziehungsdynamik und nicht als ein
„Problem“, für das ein Einzelner verantwortlich zeichnet. Kremer und
Schulz (2012) betrachten „Widerstand“ sogar als vorrangiges Problem des
Gesprächspartners und nicht des Klienten. Letzterem diene „Widerstand“
mitunter als Schutz vor respektloser Behandlung. Da der Begriff
„Widerstand“ durch den herkömmlichen Sprachgebrauch oft einseitig gefärbt
ist, dürfte es hilfreicher sein, anstelle von „Widerstand“ lieber von „Dissonanz“
in einer Beziehung zu sprechen. Hinweise auf sich anbahnende oder bereits
eingetretene Dissonanzen sind beispielsweise Einleitungen wie „ja,
aber…“, Rechtfertigungen und Begründungen für das bisherige Verhalten,
Bestreiten, Abwerten, Unterbrechen, Bagatellisieren, Zögern,
Unaufmerksamkeit und Schweigen, um nur einige Beispiele zu nennen. Für
solche Indikatoren sollte der Gesprächspartner hochsensibel sein, damit er
sofort darauf reagieren und sich wieder um „Konsonanz“ bemühen
kann. Leider geschieht es nur allzu häufig, dass der Gesprächspartner
selbst zu Dissonanz einlädt, indem er bevormundend auftritt. Hier gilt es,
vor allem folgende sehr häufige Fallen zu vermeiden:
-
1.
Ins Frage-Antwort-Schema
verfallen („Verhören“)
-
2.
Für eine bestimmte Veränderung
argumentieren (Partei ergreifen)
-
3.
Die Expertenrolle einnehmen
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4.
Kritisieren, beschämen, Schuld
zuweisen
-
5.
Etikettieren
-
6.
In Eile sein (zu schnell auf
etwas konzentrieren)
-
7.
Vorrang für die eigene Ansicht
beanspruchen (der Besserwisser sein)
Einlassungen dieser Art
erzeugen fast zwangsläufig „Widerstand“ bzw. Dissonanz. Klient und
Gesprächspartner neigen dann dazu, miteinander zu „kämpfen“ und nicht –
wie die Entwickler von Motivational Interviewing vorschlagen -
„miteinander zu tanzen“. Ein anderes hilfreiches symbolisches Bild ist der
Vergleich von Motivational Interviewing mit einem „Improvisationstheater“,
bei dem es keine vorgegebenen Handlungsabläufe gibt. Vielmehr entwickeln
die Mitspieler von Augenblick zu Augenblick und jeweils ausgehend vom
„Spielangebot“ des gerade agierenden Mitspielers neue, höchst individuelle
und möglichst passende Spielzüge, die das Stück in kreativer Weise
voranbringen. Stellen sich beim Motivational Interviewing Dissonanzen
ein, verdient deren Auflösung immer Vorrang, da sich der Klient sonst
nicht auf weiteres Explorieren und erst recht nicht auf Experimentieren
mit neuen Verhaltensweisen einlassen kann. Bevormundung löst beim
Gegenüber fast immer automatisch „Reaktanz“ aus. Darunter versteht
man eine Abwehrhaltung, die Menschen spontan dann einnehmen, wenn sie
Druck verspüren oder sich in ihrer Freiheit eingeengt fühlen. Veränderung
ist dann sehr schwierig. Nicht jede konträre Aussage ist Ausdruck von
Reaktanz. Es gibt auch „normale Meinungsverschiedenheiten“, die
ausdiskutiert sein wollen.
Dissonanzen lassen sich
zum Beispiel auflösen, indem man Aussagen, die offensichtlich Reaktanz
hervorrufen, umlenkt oder umformuliert oder indem man neue Perspektiven
einbringt („Vielleicht stellt dieses Verhalten Ihres Mannes weniger
eine Kontrolle dar, sondern ist eher Ausdruck seiner Liebe und Sorge für
Sie.“ „Offenbar sind Sie auch nach hohem Alkoholgenuss noch sehr gut in
der Lage, Ihren Alltag zu bewältigen. Ein solches Funktionieren ist meist
Ausdruck von Gewöhnung und sagt leider nichts darüber aus, wie stark ihre
Leber bereits leidet.“). Weiterhin kann man die Verantwortung dem
Klienten zurückgeben („Selbstverständlich sind Sie in Ihrer Sache der
Experte und können das für sich selbst am besten beurteilen.“) Auch
kann es sinnvoll sein, die momentane Art des Gesprächs und Miteinanders zu
variieren. |