Während alle bisher besprochenen Schritte und
Optionen der Phase 1 des Motivational Interviewing zugerechnet und oft als
der anstrengendere Teil erlebt werden (ähnlich einer Bergbesteigung),
erscheint die Phase 2 häufig als angenehm und vergleichsweise
unproblematischer („flotte Talfahrt vom Gipfel“). Dies liegt vermutlich
daran, dass sich der Klient in Phase 2 im optimalen Fall für eine
Veränderung entscheidet und zu deren Umsetzung verpflichtet
(„Commitment“). Vom „Ich möchte / hätte…“ wechselt er zum „Ich
will und werde…“ (Entschlossenheit). Ab jetzt greift die „intrinsische
Motivation“. Der Gesprächspartner begleitet den Klienten zwar weiterhin,
befindet sich aber eher im „Standby-Betrieb“. Er wird mit den schon
dargestellten Angeboten erst dann erneut tätig, wenn der Klient wieder in
die Ambivalenz zurück gleitet oder sich ihm unerwartete Herausforderungen
stellen, die im „Veränderungsplan“ des Klienten bislang nicht vorgesehen
waren. Er gibt gleichsam „Flankenschutz“. Der Wechsel von Phase 1 zu Phase
2 wird oft durch eine (offene) „Schlüsselfrage“ eingeleitet („Wie soll
es weitergehen?“ „Was wollen Sie jetzt tun?“). Vorab macht oft eine
Zusammenfassung der bisherigen Entwicklung Sinn. Ist der Zeitpunkt für die
„Schlüsselfrage“ richtig gewählt, wird der Klient zunehmend mehr
selbstverpflichtende Aussagen machen. Der optimale Zeitpunkt (bzw. eine
ausreichende Veränderungsbereitschaft) zeichnet sich z.B. dadurch ab, dass
Dissonanzen zwischen Klient und Gesprächspartner seltener werden, der
Klient weniger Fragen zur „Problematik“ stellt (und dafür umso mehr zur
möglichen Veränderung), selbstmotivierende Äußerungen zunehmen
(Vielleicht sollte ich…“), der Klient Zukunftsfantasien äußert und
teilweise bereits in Richtung der Veränderung experimentiert. Während in
Phase 1 reflektierende Äußerungen im Vordergrund stehen, sind in Phase 2
durchaus auch praktische Hinweise sinnvoll und geboten, sofern der Klient
dazu sein Einverständnis erteilt. Da ein einzelner Vorschlag Gefahr läuft,
Reaktanz auszulösen, sollten möglichst immer mehrere Hinweise /
Empfehlungen auf einmal genannt werden,. Denn bei einem umfangreicheren
Angebot neigt man eher zum Auswählen als zum Ablehnen des Komplettpakets.
Schwerpunkte der Phase 2 von Motivational
Interviewing sind
Wie ein solcher Veränderungsplan
aussehen könnte, zeigt ein von Miller und Rollnick entwickeltes Formular.
Die wichtigsten Gründe, warum ich diese
Veränderung umsetzen will: |
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Die wichtigsten Ziele für mich selbst
bei dieser Veränderung sind: |
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Um meine Ziele zu erreichen, werde ich
Folgendes tun: |
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Spezifische Tätigkeit: |
Wann? |
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Andere Personen, die mir bei dieser
Veränderung helfen können: |
Person:
Person:
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Mögliche Hilfe
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Mögliche Hindernisse und wie ich sie
überwinden könnte? |
Hindernis:
Hindernis:
|
Mögliche Lösung:
Mögliche Lösung: |
Ich weiß, dass mein Plan erfolgreich
ist, wenn folgende Ergebnisse eintreten: |
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Allerdings wird nicht jeder Klient für ein
solch förmliches Vorgehen aufgeschlossen sein. Vorbereitende Fragen lauten
z.B.: „Wie sieht Ihr Plan aus?“ „Welches wird Ihr erster Schritt sein?“
„Welche weiteren konkreten Maßnahmen haben Sie vor?“
Wohlgestaltete Ziele zeichnen sich
insbesondere durch folgende Eigenschaften aus:
Sie sollen…
-
1.
bedeutsam sein,
-
2.
klein sein,
-
3.
konkret, präzise und
verhaltensbezogen sein,
-
4.
positiv formuliert sein (eher
das Vorhandensein als die Abwesenheit von etwas ausdrücken),
-
5.
eher einen Anfang als ein Ende
beschreiben,
-
6.
im Lebenskontext des
Betroffenen realistisch und erreichbar sein.
Es kann sinnvoll sein, ein Ziel als
„schwierig“ und „mit harter Arbeit verbunden“ zu bezeichnen.
Dies erleichtert es manchen Klienten, die notwendige Verantwortung zu
übernehmen. Im Falle eines Versagens können sie dieses dann der Größe der
Aufgabe anlasten (und nicht ihrer Person). Ihre Selbstachtung bleibt
dadurch erhalten.
Im Hinblick auf mögliche Hindernisse (zu
denen auch innere Widerstände, Versuchungen, Handlungsunterbrechungen und
Misserfolge gehören), gilt es, vorab ausreichend viele Handlungsoptionen
zu entwickeln. Dies erfolgt in der Regel oft schon beim Aufbau von
Zuversicht.
Die Selbstverpflichtung des
Klienten, mit der die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltensänderung deutlich
zunimmt, kann durch eine Nachfrage verstärkt werden („Ist es das, was
Sie tun werden?“) oder indem der Klient sein Vorhaben im Freundes- und
Bekanntenkreis publik macht oder indem Belohnungen eingeplant werden.
Sollte der Klient vor einer Selbstverpflichtung noch zurückscheuen oder
diese abschwächen (etwa durch wenig entschlossen klingende Formulierungen
wie „versuchen“, „erwägen“ oder „hoffen“), sollte man
auf keinen Fall versuchen, ihn doch noch zu einer Selbstverpflichtung zu
bewegen. Sinnvoller ist es zu fragen „Was fehlt Ihnen noch, um Ihren
angedachten Plan konkret angehen zu können?“ Ein Bedrängen wird nur
Reaktanz und damit deutliche Rückschritte auf dem bisher beschrittenen Weg
auslösen. Im weiteren Verlauf sollte man möglichst nicht fragen „Haben
Sie (mittlerweile) eine Entscheidung getroffen?“ sondern lieber
„Und wie sehen Sie die Entscheidung jetzt?“ Denn eine solche offene
Frage bietet die Möglichkeit, über das Thema noch einmal ausführlicher zu
sprechen und dabei erneut Motivational Interviewing zu praktizieren. Der
Klient wird umso entschlossener sein („committed“), je energetisierter er
sich durch sein Ziel fühlt und je mehr er vom bisherigen Zustand „die Nase
voll hat“.
Hält der Klient an seiner
Selbstverpflichtung fest und setzt er seinen Plan um, ist das betreffende
Motivational Interviewing erfolgreich abgeschlossen. |