Beim „Motivational
Interviewing“ unterhalten sich zwei Personen in einer möglichst
„natürlichen“ Weise, welche bei einem der Beteiligten (dem „Klienten“) die
Motivation fördert, sich zu verändern. Dabei wird die Richtung der
Veränderung weitgehend vom „Klienten“ vorgegeben. Er darf möglichst nie zu
etwas bewegt werden, was er nicht will. Die notwendige Motivation
(Bewegungsgrund und Bewegungsziel) erwächst immer aus dem Klienten selbst.
Sie ist also „intrinsisch“. Es interessiert nicht, warum ein Mensch
bislang nicht motiviert war, sondern wofür er sich durch hilfreiche
Unterstützung möglicherweise künftig selbst motivieren kann. Bei zwar
therapiebereiten, ansonsten noch völlig absichtslosen Klienten fördert der
Gesprächspartner allenfalls das Entstehen und den Erhalt einer
Veränderungsbereitschaft. Inhalt und Richtung der Veränderung gibt
jedoch im weiteren Verlauf ausschließlich der Klient vor. Der
Gesprächspartner unterstützt ihn dabei, die mögliche Veränderung für sich
selbst zu klären und dann auch konsequent anzugehen. Damit stärkt er die
Eigenverantwortung des Klienten und bietet sich ihm nicht als
„Retter“ oder „Erlöser“. Der Klient allein entscheidet, ohne sich dabei
allein zu fühlen. Ausgangspunkt ist in der Regel eine „Ambivalenz“,
die gegebenenfalls erst erzeugt, dann gemeinsam erforscht und schließlich
in eine dem Wohl des Klienten dienende Richtung aufgelöst wird.
Exkurs 1:
Unter „Motivation“ versteht man nach Rheinberg und Vollmeyer (2012) die
„aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen
positiv bewerteten Zielzustand“ (= Motiv). Derzeit werden drei
Hauptmotive menschlichen Handelns unterschieden, die in variierenden
Maße auf das Handeln aller Menschen Einfluss nehmen: das Leistungs-, das
Macht- und das Anschluss- bzw. Intimitätsmotiv. Es hilft andere Menschen
zu verstehen und auf sie angemessen einzugehen, wenn man deren
Hauptmotiv(e) kennt. Handlungsvorschläge, die dem Hauptmotiv
widersprechen, haben auf Dauer wenig Aussicht auf Erfolg. Das Umgekehrte
gilt für Vorschläge, die dem Hauptmotiv Rechnung tragen.
In gewisser Hinsicht
ähnelt Motivational Interviewing dem „sokratischen Dialog“. Bei letzterem
hilft der Gesprächspartner ähnlich einer Hebamme, im Klienten bereits
angelegte Gedanken und Vorhaben zu gebären. Vor diesem Hintergrund betont
die englische Bezeichnung „Motivational Interviewing“ stärker als die
deutsche Bezeichnung „Motivierende Gesprächsführung“, dass der Klient
durchweg in seinen Entscheidungen frei bleibt, also zu jedem Zeitpunkt die
Wahl hat, sich für oder gegen eine mögliche Veränderung zu entscheiden.
Die gesamte Verantwortung liegt diesbezüglich immer bei ihm. Andererseits
klingt in der deutschen Bezeichnung deutlicher an, dass es sich bei der
Motivierenden Gesprächsführung nicht um einen bloßen „lockeren
Gedankenaustausch“ handelt, sondern um einen von beiden Beteiligten
gewollten Dialog über Möglichkeiten und Wege der Veränderung. Dabei
verhält sich der Gesprächspartner gegenüber dem Klienten wie ein „Entwicklungshelfer“
bzw. „Experte für Änderungsprozesse“. Diesbezüglich handelt er auch
direktiv, ohne allerdings zu dirigieren. Der entsprechende Dialog
wird umso erfolgreicher sein, je besser er in eine respektvolle und
empathische Beziehung zwischen Klient und Gesprächspartner
eingebettet ist. Für den Gesprächspartner ist es daher unerlässlich, eine
Haltung einzunehmen, aus der heraus er den Klienten wertschätzen
und dessen Autonomie achten kann. Dazu gehört beispielsweise, immer
wieder neu um Erlaubnis zu fragen, wenn man neue Themen oder
Aspekte ansprechen möchte. Der Gesprächspartner selbst verhält sich
möglichst „echt“ (authentisch) und geduldig.
Das „Motivational
Interviewing“ wurde ursprünglich von William R. Miller und Stephen Rollnick für Menschen mit
Alkoholproblemen entwickelt (1991). Mittlerweile findet die Methode bei
vielen anderen gesundheitlichen Fragestellungen Anwendung. Dabei geht es
durchweg darum, Menschen im Entwickeln, Umsetzen und Aufrechterhalten
eigener Motivation zu gesünderem Verhalten zu unterstützen. Motivational
Interviewing ist weder ein „Trick“, eine „List“ oder eine „Technik“ noch
ein „Allheilmittel“ (nach dem Motto „eine Pille für alles“). Es ist
nützlich sie zu beherrschen, um sie bei passender Gelegenheit einem dafür
aufgeschlossenen Klienten anbieten zu können. Unabhängig davon kann es
sich lohnen, die noch darzustellende „Grundhaltung“ und die „Handlungs-
und Gesprächsgrundsätze“ auch unabhängig von Motivational Interviewing
in den verschiedensten Lebenssituationen zu nutzen. Auch wenn Motivational
Interviewing erfreulicherweise nicht „theorielastig“ ist, lässt es sich
leider meist nicht in einem „Crash-Kurs“ auf die Schnelle erlernen. Es ist
durchaus ein überzeugendes Beispiel für ärztliche bzw.
psychotherapeutische (kommunikative) „Kunst“. Als besonders anspruchsvoll
gilt dabei die Herausforderung, einem Klienten dessen eigene Überlegungen
hilfreich „reflektieren“, kunstvoll mit „Widerstand umgehen“ und „Change
Talk“ (selbstmotivierende Äußerungen) hervorrufen zu können.
Mittlerweile weisen zahlreiche Studien in unterschiedlichen
Anwendungsgebieten die Wirksamkeit von Motivational Interviewing nach (z.
B bei Suchterkrankungen, Essstörungen oder chronischen
Erkrankungen, bei denen es wesentlich und über lange Zeit auf die
Mitwirkung des Patienten ankommt). Die Patienten erzielen nicht nur
schneller positive Ergebnisse, diese halten auch länger an (mehr
„Therapietreue“). Motivational Interviewing wird als eigenständiges
Therapieverfahren oder als ergänzender Behandlungsbaustein zu
herkömmlichen Methoden eingesetzt. In Studien variiert die
Anwendungshäufigkeit zwischen einer und acht Sitzungen. Die tägliche
therapeutische Praxis kann von ihr dauerhaft geprägt sein, ohne dass dafür
lehrbuchmäßig vorgegangen werden muss.
Motivational Interviewing hat sich, wie der
Name andeutet, auf einen Aspekt in der gesundheitlichen Begleitung von
Menschen konzentriert, der bis dahin offenbar eher stiefmütterlich
behandelt wurde: Die Motivation eines Patienten, das eigene Verhalten in
eine Richtung zu verändern und dann beizubehalten, welche
gesundheitsförderlicher erscheint als das bisherige Verhalten. Der
Umstand, dass eine solche Motivation von Mensch zu Mensch sehr
unterschiedlich ausfällt, dürfte erklären, warum in manchen Fällen bereits
sehr wenige Interventionen genügen, um rasch und dauerhaft „Erfolge“ zu
erzielen, während sich andere Personen trotz unzähliger Interventionen „resistent“
zeigen. Schon hier sei zum Stichwort „resistent“ (= Widerstand) angemerkt,
das Motivational Interviewing diesen Begriff im herkömmlichen Sinne
ablehnt: Während im Allgemeinen vom „Widerstand“ eines Patienten
gesprochen wird, ist eine solche Betrachtungsweise nach Ansicht des
Motivational Interviewing unsinnig. Denn „Widerstand“ ist ein
interaktionelles Phänomen und kann nicht isoliert als das Problem
einer Einzelperson verstanden werden. Der Zusammenhang erinnert an ein
vergleichbares Phänomen aus der Physik, wo sich „Kraft“ immer nur im
Zusammenspiel mit einer entsprechenden „Gegenkraft“ entwickeln kann. Wenn
es also in einer Beziehung zu „Widerstand“ kommt, tragen dazu immer alle
Beteiligten bei. Oder anhand eines anderen Alltagsbeispiels verdeutlicht:
Wir stehen nicht im Stau, wir sind der Stau.
Motivational Interviewing geht somit davon
aus, dass die Erzeugung und Aufrechterhaltung von Eigenmotivation
(und damit Eigenverantwortung) ein wesentlicher Faktor für
gesundheitsförderliches Verhalten ist. Sie rechtfertigt daher auch aus
ökonomischer Sicht den nötigen Aufwand. |