Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Zum Begriff und zur Philosophie von
Motivational Interviewing

 

Beim „Motivational Interviewing“ unterhalten sich zwei Personen in einer möglichst „natürlichen“ Weise, welche bei einem der Beteiligten (dem „Klienten“) die Motivation fördert, sich zu verändern. Dabei wird die Richtung der Veränderung weitgehend vom „Klienten“ vorgegeben. Er darf möglichst nie zu etwas bewegt werden, was er nicht will. Die notwendige Motivation (Bewegungsgrund und Bewegungsziel) erwächst immer aus dem Klienten selbst. Sie ist also „intrinsisch“. Es interessiert nicht, warum ein Mensch bislang nicht motiviert war, sondern wofür er sich durch hilfreiche Unterstützung möglicherweise künftig selbst motivieren kann. Bei zwar therapiebereiten, ansonsten noch völlig absichtslosen Klienten fördert der Gesprächspartner allenfalls das Entstehen und den Erhalt einer Veränderungsbereitschaft. Inhalt und Richtung der Veränderung gibt jedoch im weiteren Verlauf ausschließlich der Klient vor. Der Gesprächspartner unterstützt ihn dabei, die mögliche Veränderung für sich selbst zu klären und dann auch konsequent anzugehen. Damit stärkt er die Eigenverantwortung des Klienten und bietet sich ihm nicht als „Retter“ oder „Erlöser“. Der Klient allein entscheidet, ohne sich dabei allein zu fühlen. Ausgangspunkt ist in der Regel eine „Ambivalenz“, die gegebenenfalls erst erzeugt, dann gemeinsam erforscht und schließlich in eine dem Wohl des Klienten dienende Richtung aufgelöst wird.

Exkurs 1: Unter „Motivation“ versteht man nach Rheinberg und Vollmeyer (2012) die „aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand“ (= Motiv). Derzeit werden drei Hauptmotive menschlichen Handelns unterschieden, die in variierenden Maße auf das Handeln aller Menschen Einfluss nehmen: das Leistungs-, das Macht- und das Anschluss- bzw. Intimitätsmotiv. Es hilft andere Menschen zu verstehen und auf sie angemessen einzugehen, wenn man deren Hauptmotiv(e) kennt. Handlungsvorschläge, die dem Hauptmotiv widersprechen, haben auf Dauer wenig Aussicht auf Erfolg. Das Umgekehrte gilt für Vorschläge, die dem Hauptmotiv Rechnung tragen.

In gewisser Hinsicht ähnelt Motivational Interviewing dem „sokratischen Dialog“. Bei letzterem hilft der Gesprächspartner ähnlich einer Hebamme, im Klienten bereits angelegte Gedanken und Vorhaben zu gebären. Vor diesem Hintergrund betont die englische Bezeichnung „Motivational Interviewing“ stärker als die deutsche Bezeichnung „Motivierende Gesprächsführung“, dass der Klient durchweg in seinen Entscheidungen frei bleibt, also zu jedem Zeitpunkt die Wahl hat, sich für oder gegen eine mögliche Veränderung zu entscheiden. Die gesamte Verantwortung liegt diesbezüglich immer bei ihm. Andererseits klingt in der deutschen Bezeichnung deutlicher an, dass es sich bei der Motivierenden Gesprächsführung nicht um einen bloßen „lockeren Gedankenaustausch“ handelt, sondern um einen von beiden Beteiligten gewollten Dialog über Möglichkeiten und Wege der Veränderung. Dabei verhält sich der Gesprächspartner gegenüber dem Klienten wie ein „Entwicklungshelfer“ bzw. „Experte für Änderungsprozesse“. Diesbezüglich handelt er auch direktiv, ohne allerdings zu dirigieren. Der entsprechende Dialog wird umso erfolgreicher sein, je besser er in eine respektvolle und empathische Beziehung zwischen Klient und Gesprächspartner eingebettet ist. Für den Gesprächspartner ist es daher unerlässlich, eine Haltung einzunehmen, aus der heraus er den Klienten wertschätzen und dessen Autonomie achten kann. Dazu gehört beispielsweise, immer wieder neu um Erlaubnis zu fragen, wenn man neue Themen oder Aspekte ansprechen möchte. Der Gesprächspartner selbst verhält sich möglichst „echt“ (authentisch) und geduldig.

Das „Motivational Interviewing“ wurde ursprünglich von William R. Miller und Stephen Rollnick für Menschen mit Alkoholproblemen entwickelt (1991). Mittlerweile findet die Methode bei vielen anderen gesundheitlichen Fragestellungen Anwendung. Dabei geht es durchweg darum, Menschen im Entwickeln, Umsetzen und Aufrechterhalten eigener Motivation zu gesünderem Verhalten zu unterstützen. Motivational Interviewing ist weder ein „Trick“, eine „List“ oder eine „Technik“ noch ein „Allheilmittel“ (nach dem Motto „eine Pille für alles“). Es ist nützlich sie zu beherrschen, um sie bei passender Gelegenheit einem dafür aufgeschlossenen Klienten anbieten zu können. Unabhängig davon kann es sich lohnen, die noch darzustellende „Grundhaltung“ und die „Handlungs- und Gesprächsgrundsätze“ auch unabhängig von Motivational Interviewing in den verschiedensten Lebenssituationen zu nutzen. Auch wenn Motivational Interviewing erfreulicherweise nicht „theorielastig“ ist, lässt es sich leider meist nicht in einem „Crash-Kurs“ auf die Schnelle erlernen. Es ist durchaus ein überzeugendes Beispiel für ärztliche bzw. psychotherapeutische (kommunikative) „Kunst“. Als besonders anspruchsvoll gilt dabei die Herausforderung, einem Klienten dessen eigene Überlegungen hilfreich „reflektieren“, kunstvoll mit „Widerstand umgehen“ und „Change Talk“ (selbstmotivierende Äußerungen) hervorrufen zu können. Mittlerweile weisen zahlreiche Studien in unterschiedlichen Anwendungsgebieten die Wirksamkeit von Motivational Interviewing nach (z. B bei Suchterkrankungen, Essstörungen oder chronischen Erkrankungen, bei denen es wesentlich und über lange Zeit auf die Mitwirkung des Patienten ankommt). Die Patienten erzielen nicht nur schneller positive Ergebnisse, diese halten auch länger an (mehr „Therapietreue“). Motivational Interviewing wird als eigenständiges Therapieverfahren oder als ergänzender Behandlungsbaustein zu herkömmlichen Methoden eingesetzt. In Studien variiert die Anwendungshäufigkeit zwischen einer und acht Sitzungen. Die tägliche therapeutische Praxis kann von ihr dauerhaft geprägt sein, ohne dass dafür lehrbuchmäßig vorgegangen werden muss.

Motivational Interviewing hat sich, wie der Name andeutet, auf einen Aspekt in der gesundheitlichen Begleitung von Menschen konzentriert, der bis dahin offenbar eher stiefmütterlich behandelt wurde: Die Motivation eines Patienten, das eigene Verhalten in eine Richtung zu verändern und dann beizubehalten, welche gesundheitsförderlicher erscheint als das bisherige Verhalten. Der Umstand, dass eine solche Motivation von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausfällt, dürfte erklären, warum in manchen Fällen bereits sehr wenige Interventionen genügen, um rasch und dauerhaft „Erfolge“ zu erzielen, während sich andere Personen trotz unzähliger Interventionen „resistent“ zeigen. Schon hier sei zum Stichwort „resistent“ (= Widerstand) angemerkt, das Motivational Interviewing diesen Begriff im herkömmlichen Sinne ablehnt: Während im Allgemeinen vom „Widerstand“ eines Patienten gesprochen wird, ist eine solche Betrachtungsweise nach Ansicht des Motivational Interviewing unsinnig. Denn „Widerstand“ ist ein interaktionelles Phänomen und kann nicht isoliert als das Problem einer Einzelperson verstanden werden. Der Zusammenhang erinnert an ein vergleichbares Phänomen aus der Physik, wo sich „Kraft“ immer nur im Zusammenspiel mit einer entsprechenden „Gegenkraft“ entwickeln kann. Wenn es also in einer Beziehung zu „Widerstand“ kommt, tragen dazu immer alle Beteiligten bei. Oder anhand eines anderen Alltagsbeispiels verdeutlicht: Wir stehen nicht im Stau, wir sind der Stau.

Motivational Interviewing geht somit davon aus, dass die Erzeugung und Aufrechterhaltung von Eigenmotivation (und damit Eigenverantwortung) ein wesentlicher Faktor für gesundheitsförderliches Verhalten ist. Sie rechtfertigt daher auch aus ökonomischer Sicht den nötigen Aufwand.