In
dem Wort Wahrnehmen befindet sich alles zu diesem Angebot der
E-Mail-gestützten Psychotherapie. In meiner anfänglichen Trennungsphase
habe ich nur noch wenig Leben wahrgenommen: bei mir, bei meiner Familie.
Alles war zugespitzt auf mein Gefühl "Verlust". Meine Wahrnehmung war
hochgradig eingeschränkt, fixiert! Ich bin durchaus auch ein
'Schreibmensch'. So habe ich von Okt.2002 bis Dez. 2003 dutzende Briefe an
meine Exfrau geschrieben - und damit auch mir selber. Aber diese Briefe
sprachen alle nicht vom Leben in seiner Vielfalt. Sie kamen aus meinem
Schmerz und kreisten ständig um ihn und dazu noch höchst 'an der
Oberfläche bleibend'. Ich war nicht in der Lage, differenziert an Ursachen
zu denken und mich damit auseinander zu setzten. Dennoch wollte ich diese
Auseinandersetzung. Beides ist klar (klar geworden), sonst wären ich nicht
zur Psychotherapie gekommen!E-Mail-gestützte
Psychotherapie? Voraussetzung dafür ist für mich der gespürte Wille, auch
der nicht-gespürte Wille. Und letzterer muss erkundet werden. Das Angebot
der E-Mail-gestützten Psychotherapie kommt beidem nach. Das ist gut, weil
sie beim Patienten einen weiteren Kommunikationskanal nach und nach öffnen
kann.
Wie geschieht dies?
Beim Schreiben entsteht immer auch eine besondere
Zeit, eine Zeit der Muße und Besinnung. Und ganz wichtig: eine Zeit der
Nachbesinnung. Denn der Schreibende kann durch die schriftliche Fixierung
nochmals nachlesen und nachempfinden. Zusammen mit der in der mündlichen
Kommunikation erlebten Fachkompetenz kann der Patient damit dreierlei
erreichen:
1. Die E-Mail-gestützten Psychotherapie macht den
Patienten von festen Therapie terminen unabhängig. Denn zu jeder Zeit kann
er sich an den Therapeuten wenden (Zeitaspekt)
2. Der Patient bekommt das Gefühl und das Wissen,
mit sich nicht mehr alleine zu sein. Der Therapeut ist kompetent immer da,
wenn 'ich' ihn brauche. (Elternaspekt als Zentralaspekt)
3. Der Patient verlässt endlich seine 'unscharfe
Lebensoberfläche'. Er 'sieht' endlich wieder immer mehr die Lebensvielfalt
(Unterstützungsaspekt des Therapiezieles).
Im Verlauf der E-Mail-gestützten Psychotherapie
bilden sich sicherlich individuelle Nutzungsintensitäten heraus. Dafür
gibt es eine Fülle von Gründen, z.B.:
- Fortschritte im Selbsterkennen,
Gegenübererkennen, Welterkennen (Phase des Erkennens)
- Die gestaltende Umsetzung dieses Erkannten - auch
die teilweise und allmähliche Umsetzung (Phase des Probierens)
- Aufbau eines Erfolgsgefühls - spüren eines neuen
aktiven ICHs mit Elementen des alten (Phase des Speicherns)
Der Einbezug von E-Mail-gestützter Psychotherapie
ist ein Stück mehr hin zum normalen Umgang zwischen Menschen. Das klingt
zunächst paradox: In der Alltagswelt werden Probleme in der Regel verbal
oder nonverbal oder durch eine Mischung bewältigt. Aber: Die
E-Mail-gestützten Psychotherapie kann eine verstärkte Annahme des
Therapeuten erzeugen (Elternaspekt mit allen oben angedeuteten Effekten
und Affekten (Kartharsis). So kann sich die Ebene der Heilung (um die es
ja geht) verstärkt stabilisieren (Phase der Stärkung und Abnabelung)
Vorläufiges Fazit : Ich plädiere für eine
Beibehaltung der E-Mail-gestützten Psychotherapie. Über deren formale,
auch abrechnungstechnische Bedingungen ist sicherlich nachzudenken. Denn
es bedeutet für den Therapeuten einen vermehrten Zeit- und
Hinwendungseinsatz.
Zur Nutzungsintensität der E-Mail-gestützten
Psychotherapienoch ein Nachgedanke: Hier habe ich mir oft mehr Aktivität
von meiner Seite gewünscht. Ich glaube: es wäre ein 'gewichtiges Buch' für
mich geworden - aber ich trage ja in mir den erfahrbar gewordenen Anstoß
und kann jeder Zeit individuell weiter schreiben (Aspekt der guten
Erfahrung).