57-jährige Patientin mit anhaltender
depressiver Verstimmung ("Dysthymie")
Sie schreibt:
Da ich in mündlichen Gesprächen oft nicht
auf der Höhe meiner Möglichkeiten bin, fand ich es segensreich, mich
zusätzlich schriftlich, per E-Mail, ausdrücken zu dürfen. Hinzu kam, dass
ich in manchem langsamer bin, ich Zeit brauche, um überhaupt in die
Therapiestunde hineinzufinden und zu mir zu kommen. Diese knappe Stunde
ist eigentlich zu kurz für mich, ich fühle mich unter Zeitdruck, was
wiederum der Konzentration abträglich ist.
Nach den Sitzungen, auch mithilfe Ihrer
konkreten, schriftlichen Rückmeldungen in den „Trainings- und
Entwicklungstipps“, habe ich mir noch einmal die Therapiestunde und das,
was sie in mir an Fragen, Erkenntnissen und Gefühlen ausgelöst hat, nun
aus der Distanz heraus, vergegenwärtigen können. Durch die eigene
schriftliche Fixierung war ich imstande, Versäumtes, Unausgesprochenes
auszusprechen, Missverständliches aufzulösen, einiges zu ergänzen, das
Ganze zu strukturieren und damit Klarheit zu gewinnen.
Dass ich nicht nur für mich geschrieben
habe, sondern an einen Adressaten, erwies sich in dreierlei Hinsicht als
sehr hilfreich: Ich hatte mich a) möglichst kurz zu halten, mich auf das
Wesentliche zu beschränken, um Sie nicht mit einem endlosen,
unausgegorenen Text zu überfordern, den Sie schließlich in Ihrer Freizeit
lesen und beantworten mussten. Das schützte mich davor, mich wie früher
ausufernd mit dem jeweiligen Thema zu befassen, mich zu verzetteln und im
„Chaos“ zu ertrinken. b) Ich wollte mich klar und präzise ausdrücken,
damit Sie als Außenstehender mich verstehen konnten, was wiederum mein
eigenes Verstehen positiv beeinflusste. c) Für Sie als Therapeut sind
solche Rückmeldungen ebenfalls nützlich, nicht nur, was zusätzliche
Informationen betrifft. Auch Sie machen sich Notizen während der Sitzung,
um später ggf. darüber nachdenken, darauf zurückkommen zu können. Klienten
haben diese Möglichkeit während der Therapiesitzung nicht, sie wären
ohnehin nicht fähig dazu, sind sie doch gerade zu nah dran an ihren
Problemen und Gefühlen, was ja auch erwünscht ist. Schriftliches von
Klienten kann aber zusätzlich erhellend sein. Besonders Rückmeldungen aus
der Distanz heraus, denn die sind noch einmal anders als die während der
Therapiestunde: Sie vervollständigen das Bild, den Eindruck. Und: Ihre
schriftliche Antwort an mich hatte ein besonderes Gewicht, prägte sich mir
stärker ein als manches Mündliche. Zudem hatte ich durch die schriftliche
Kommunikation per E-Mail bei Bedarf auch außerhalb der Therapiestunden
einen kompetenten Ansprechpartner, fühlte mich dadurch in permanentem
Kontakt und nicht allein gelassen.
In einer früheren Therapie tauchten meine
fruchtbarsten Gedanken, Erkenntnisse, Gefühle oft in der Zeit zwischen den
Therapiesitzungen auf. Ich notierte sie mir direkt, damit sie nicht
teilweise wieder untergingen, denn ich hätte sie bei der nächsten Sitzung
– mündlich – nicht mehr so vollständig, zutreffend und klar artikulieren
können. Also schickte ich sie ab und zu meinem Therapeuten: Mit schlechtem
Gewissen, weil so etwas nicht üblich war und ich nicht mehr Raum
beanspruchen wollte als andere Klienten. Gleichzeitig jedoch fand ich es
für den weiteren Hergang der Therapie wichtig, ihm diese Informationen und
Rückmeldungen zukommen zu lassen. Jede dieser Mitteilungen sollte die
letzte sein, dementsprechend ausführlich und elend lang wurde dann die
jeweils „letzte“ unter dem Druck dieses Anspruchs an mich selbst, was mein
schlechtes Gewissen verstärkte. Deshalb schickte ich später die meisten
nicht mehr ab.
Hätte auch schriftliche Kommunikation zur
Therapie gehört, wäre das eine positive Ergänzung zur mündlichen Sitzung
gewesen. Ich hätte mich auf das Wesentliche beschränken können: Es wäre
nicht das „letzte Mal“ gewesen, wo ich dem Therapeuten hätte schreiben
dürfen, nein, es wäre sogar erwünscht gewesen, dass ich mich bei Bedarf
äußere, – was den Druck von mir genommen hätte.
Der Mensch ist nicht nur der, der einem
gegenübersitzt und sich mehr oder weniger zeigt. Der Mensch ist auch der,
der er mit sich alleine ist: Gerade wenn er mit sich allein ist,
unverkrampft, ohne ein Gesicht für andere, ganz bei sich, ist er am
meisten er selbst. Diesen Menschen lernt ein Therapeut nicht kennen.
Schriftliches ist ein Fenster in diesen
Menschen hinein. Besonders in Menschen, deren Schwäche das Mündliche,
deren Stärke das Schriftliche ist.
Zudem versuchen gerade viele Leute mit
psychischen Problemen sich das, was sie belastet, von der Seele zu
schreiben, sofort im akuten Stadium. Diese Seite ihrer Klientel bekommen
Therapeuten nur selten zu sehen: Nur wenn sie es sich zeitlich leisten
können und wollen, sich dafür zu öffnen und darauf einzugehen – und das in
ihrer Freizeit! Niemand kann dies von ihnen erwarten. Und wer sich das als
Therapeut selber auferlegt, um gezielter helfen zu können, beutet sich
aus, wird sich bald ausgebrannt fühlen und es wieder aufgeben müssen aus
Selbstschutz heraus.
Eine Vergütung für diese zusätzliche
Hilfe durch die Krankenkassen bietet sich also an, denn sie hat in der
Arbeitszeit zu erfolgen, nicht in der Freizeit. Hier geht es nicht nur um
eine gerechte Bezahlung für Arbeit. Ich bin davon überzeugt, dass die
Ergänzung durch die schriftliche Kommunikation den Heilungsprozess
beschleunigen kann, bleiben die Klienten dann doch auch zwischen den
Therapiestunden aktiv, was vielen durch die Ablenkungen des Alltags
vermutlich schwer fällt. |