Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Interview mit der Zeitschrift "Freundin"
zum Thema "Filmtherapie"

(Auszugsweise veröffentlicht in Freundin, 15. Mai 2003)

1. Was können Filme beim Betrachter auslösen?

Was ein Film „auslöst“ hängt nicht nur von seinem Inhalt und seiner Dramaturgie ab. Immer spielen auch die Eigenschaften des Betrachters ein wesentliche Rolle: Wer humorlos ist, im Augenblick von anderen Themen beansprucht wird oder sich körperlich momentan unwohl fühlt, wird sich selbst dann von einer Komödie nur wenig bewegen lassen, wenn diese mit zahlreichen Oscars ausgezeichnet wurde. Bei Menschen, die sich vom Thema eines Filmes oder den darin vorgestellten Charakteren ansprechen lassen, kann die Wirkung eines Filmes allerdings sehr mächtig sein. So kam es wiederholt vor, dass die Zahl der Selbstmorde im Anschluss an bestimmte Fernsehsendungen deutlich anstieg, in denen ein Suizid dargestellt worden war. Dieses Phänomen verdeutlicht zugleich, dass eine besonders starke Wirkung dann ausgelöst wird, wenn sich Zuschauer mit einem oder einer Darstellerin besonders stark identifizieren. Kommt es zu einer solchen Identifikation, ist damit zu rechnen, dass der Betrachter ähnlich empfindet und deshalb zu ähnlichen Verhaltensweisen bereit ist wie sein filmisches Vorbild. Lauten die von den Hauptdarstellern verkörperten Themen etwa „Selbstfindung“, „Selbstbehauptung“, „Ausstieg aus Mustern“, „Zivilcourage“, „Versöhnung“ oder „soziales Engagement“, so kann dies über den Weg der Identifikation auch beim Zuschauer entsprechende Verhaltensbereitschaften fördern. Leider kann die Wirkung von Spielfilmen auch missbraucht werden, wie Erfahrungen mit nichtdemokratische Regierungen in der Vergangenheit zeigen. Nicht selten wurden ideologische Botschaften (zum Beispiel Vorurteile über Randgruppen, Minderheiten  oder politische Gegner) mehr oder weniger subtil in Szene gesetzt und diese dann einem breiten Publikum vorgespielt.

2. Bei welchen Problemen hilft Cinetherapie, bei welchen nicht?

Sofern ein Problem mit filmischen Mitteln darstellbar ist und Emotionen anspricht¸ kann Cinetherapie immer von Nutzen sein. Auch in Form reiner Faktenvermittlung ist Cinetherapie hilfreich (Wie macht man etwas? Wie lösen andere ein bestimmtes Problem? Was geht in anderen Menschen vor? Wie wirken sich manche Verhaltensweisen langfristig aus? Was darf man, was nicht?). 

3. Nutzt mir Cinetherapie beim Gefühl beruflich festzustecken?

Sicherlich dann, wenn ich mich auf einen thematisch geeigneten Film einlasse (siehe Punkt 1) und ich mich zumindest teilweise mit einer der Figuren oder dem Thema identifizieren kann. Wer unter „Mobbing-Problemen“ in einem Finanzamt leidet, wird nicht unbedingt Parallelen in einem Film entdecken, in dem eine Angestellte gegen Umweltsünder kämpft. Auch ist es nicht immer leicht, die vor der Skyline von Los Angeles gezeigten Lösungen auf die Situation einer ostdeutschen Kleinstadt zu übertragen. Gut gemachte Spielfilme können wie moderne Märchen wirken, die wichtige Weisheiten transportieren und Mut machen. Gerade wenn man „feststeckt“, ist es gut, die Fülle der oft vorhandenen Alternativen aufgezeigt zu bekommen. Spielfilme haben dadurch, dass sie nicht nur mehrere Sinne, sondern auch unser Gefühlsleben ansprechen, eine besondere Motivierungskraft.

4. Wie hilft mir Filmtherapie, was geht da genau in mir vor?

Ein Film kann lange verdrängte Gefühle, Wünsche und Konflikte an die Oberfläche bringen, zum Beispiel Gefühle aus der Kindheit, Wut oder Sehnsüchte. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene lernen besonders gerne am Vorbild. Ein thematisch gut aufbereiteter Kinofilm bietet daher fast immer mehrere „Lektionen in Lebenskunst“. Das Wissen, „dass es sich ja nur um einen Film handelt“, den man zudem aus sicherem Abstand verfolgen und jederzeit verlassen kann, erleichtert es, sich auf unangenehme oder beängstigende Themen einzulassen. Die vielleicht beunruhigende Nachricht: Jeder Film, der uns bewegt hat, hinterlässt Spuren und verändert uns. Beispiel: Wer in einem chaotisch wirkenden Suchbild einmal eine „Figur“, „Struktur“ oder „Gestalt“ erkannt hat, schafft es bei erneuter Betrachtung nicht mehr, diese Figur nicht mehr zu sehen. Mit Ähnlichem ist auch bei Filmen zu rechnen: Wenn wir einmal eine Lösung kennen gelernt haben, können wir nur noch mit großer Mühe so tun, als gäbe es sie nicht. Vor allem das Miterleben von Filmen hinterlässt bleibende Spuren. Sportler nutzen dieses Phänomen, indem sie sich wichtige Wettkampfsituationen „wie in einem inneren Film“ immer und immer wieder vorstellen. Dabei ist bewiesen, dass allein schon dieses innere Kino die spätere Leistungsfähigkeit verbessert. Warum also sollte echtes Kino weniger wirksam sein?

5. Wie unterscheiden sich die Effekte der Cinetherapie von der Beratung durch einen Job-Coach?

Leider gibt es dazu noch keine Untersuchungen, da die Cinetherapie bisher noch ein exotisches Dasein führt. Ein wesentlicher Unterschied besteht zumindest darin, dass Coaching immer auch stark die Vernunft anspricht und neue Erkenntnisse in Form eines Dialogs zwischen Coach und Gecoachtem vermittelt. Bei einem guten Coaching ermutigt der Coach zwar seinen Klienten, reale und mit Emotionen verbundene neue Erfahrungen zu machen. Dies erfolgt allerdings oft außerhalb der Coaching-Sitzung in einer zweiten Phase. Dagegen spricht die Cinetherapie vor allem das Unbewusste in uns an, insbesondere unsere Gefühle (die uns in der Regel ja beherrschen). Dies geschieht bereits, während wir den Film erleben. Coaching dürfte letztlich deswegen erfolgreicher wirken, weil man einen Coach meist mit dem Ziel aufsucht, anschließend im Leben etwas anders zu machen. Dagegen hat man diese Vorstellung selten, wenn man sich ins Kino begibt.

6. Sollte ich mich nach dem Erleben eines Spielfilms mit anderen darüber  austauschen oder mir Notizen machen? Nutzen mir die Filme bereits intuitiv?

Wer sich im Anschluss an einen Kinobesuch mit anderen austauscht, profitiert zusätzlich noch von dem unter Punkt 5 beschriebenen „Coaching-Effekt“. Denn durch das Gespräch und die Auseinandersetzung werden nun auch im Bewusstsein (verbalen Gedächtnis) bzw. den dafür verantwortlichen Nervenverbindungen neue Spuren gelegt. Dies hat den Vorteil, dass ich in künftigen Situationen nicht nur (auf mittlerweile hoffentlich vorhandenes!) intuitives Wissen zurückgreifen kann. Zusätzlich steht mir jetzt auch das so genannte explizite Gedächtnis zur Verfügung, mit dessen Hilfe ich mich selbst an meine neuen Erkenntnisse und Entscheidungen erinnern und zu deren Umsetzung motivieren kann. Der Austausch mit Begleitern hat auch den Vorteil, dass ich durch andere auf Gesichtspunkte und Erlebnismöglichkeiten aufmerksam gemacht werde, die mir selbst entgangen sind (Jeder erlebt einen Film anders!).

7. Gibt es Kriterien, wie Filme beschaffen sein müssen, die mir etwas bringen?

Diese Frage lässt sich nur individuell beantworten. Auch ein schlecht gemachter Film kann im Einzelfall dramatische Wirkungen entfalten, sofern sich ein Zuschauer ausreichend angesprochen fühlt. Deswegen macht es wenig Sinn, einzelnen Filmen eine bestimmte Wirkung zuzuschreiben, wie man es von Medikamenten gewohnt ist. Wenn sich 10 Menschen den gleichen Film ansehen, werden bei jedem andere Effekt zutage treten. Mit großer Sicherheit werden sich nicht alle Zuschauer mit der gleichen Person im Film identifizieren, obgleich sich die Hauptdarsteller dafür besonders anbieten. Vermutlich würde man Nebendarstellern keinen Oscar verleihen, wenn sich diese Rollen nicht ebenfalls zur Identifikation anbieten würden. Realistische und alltagsnahe Handlungen erleichtern sicherlich die Identifikation. Andererseits werden uns manche Phänomene mitunter umso  bewusster, je mehr sie verfremdet werden (etwa wenn ein Computer oder „Marsbewohner“ so dargestellt wird, als werde er von Gefühlen geleitet). Welcher Film sich für einen Menschen besonders „eignet“, können vermutlich am besten seine Freunde oder - falls er einen solchen hat – sein Coach oder Psychotherapeut beurteilen.

8. Wie sind die Nebenwirkungen einer Filmtherapie?

Ein einzelner gezielt zu therapeutischen Zwecken eingesetzter Film wird kaum Schaden anrichten können, insbesondere dann nicht, wenn man sich anschließend intensiv mit seinem Inhalt auseinandersetzt. Problematisch wird es vielleicht dann, wenn man sich selbst ein Übermaß an Filmkonsum verordnet und dabei dann auch nicht wählerisch vorgeht. Wer sich nur in der virtuellen Welt des Kinos aufhält, läuft Gefahr, sich dort einzurichten, also passiv in der Rolle des Zuschauers zu verharren, sich von Alltagsproblemen abzulenken und so das wahre Leben an sich vorbeirauschen lassen. Filme können andere wichtige Problemlösungsstrategien nicht ersetzen (wie Auseinandersetzungen und Konfliktlösungen). Da Spielfilme nicht zu therapeutischen Zwecken erstellt werden, wird es in den meisten Filmen immer die ein oder andere Rolle geben, bei der eine Identifikation negative Folgen hat (z.B. bei Anwendung von Gewalt). Auch ist nicht auszuschließen, dass manchmal Szenen wie ein „Schock“ wirken, der bei entsprechender Veranlagung zu Ängsten, vermehrter Schreckhaftigkeit, Alpräumen, Antipathien und anderen ungünstigen Konsequenzen führen kann.

9. Wie oft sollte ich mir einen Film anschauen?

Kinofreunde wissen, dass man sich einen guten Film schon deswegen nicht oft genug ansehen kann, weil man nicht nur immer wieder Neues entdeckt, sondern weil man den gleichen Film mitunter auch wieder ganz anders erleben kann. Letzteres verdeutlicht nochmals, dass es für den Effekt eines Films eben vor allem auf uns selbst und unsere jeweilige Verfassung ankommt. Ansonsten gilt das schon beim Beispiel des Sportlers angesprochene Prinzip des mentalen Trainings: Je öfter ich mir ein neues Verhalten vorstelle (und dazu kann mir das Betrachten eines Spielfilms helfen), um so deutlichere Effekte wird dies bei mir hinterlassen.

10. Welche Erfahrungen zur Filmtherapie gibt es?

„Filmtherapie“ ist keine offiziell anerkannte Behandlungsform. Die Idee wurde erstmals in den USA veröffentlicht und ist keinesfalls eine eigenständige Therapiemethode. Sie ergänzt das mittlerweile schon sehr breite Spektrum an therapeutischen Interventionsmethoden und dürfte genau so bedeutsam sein wie etwa die Lektüre einschlägiger Bücher.