1.
Was können Filme beim Betrachter auslösen?
Was
ein Film „auslöst“ hängt nicht nur von seinem Inhalt und seiner
Dramaturgie ab. Immer spielen auch die Eigenschaften des Betrachters ein
wesentliche Rolle: Wer humorlos ist, im Augenblick von anderen Themen
beansprucht wird oder sich körperlich momentan unwohl fühlt, wird sich
selbst dann von einer Komödie nur wenig bewegen lassen, wenn diese mit
zahlreichen Oscars ausgezeichnet wurde. Bei Menschen, die sich vom Thema
eines Filmes oder den darin vorgestellten Charakteren ansprechen lassen,
kann die Wirkung eines Filmes allerdings sehr mächtig sein. So kam es
wiederholt vor, dass die Zahl der Selbstmorde im Anschluss an bestimmte
Fernsehsendungen deutlich anstieg, in denen ein Suizid dargestellt worden
war. Dieses Phänomen verdeutlicht zugleich, dass eine besonders starke
Wirkung dann ausgelöst wird, wenn sich Zuschauer mit einem oder einer
Darstellerin besonders stark identifizieren. Kommt es zu einer solchen
Identifikation, ist damit zu rechnen, dass der Betrachter ähnlich
empfindet und deshalb zu ähnlichen Verhaltensweisen bereit ist wie sein
filmisches Vorbild. Lauten die von den Hauptdarstellern verkörperten
Themen etwa „Selbstfindung“, „Selbstbehauptung“, „Ausstieg aus Mustern“,
„Zivilcourage“, „Versöhnung“ oder „soziales Engagement“, so kann dies über
den Weg der Identifikation auch beim Zuschauer entsprechende
Verhaltensbereitschaften fördern. Leider kann die Wirkung von Spielfilmen
auch missbraucht werden, wie Erfahrungen mit nichtdemokratische
Regierungen in der Vergangenheit zeigen. Nicht selten wurden ideologische
Botschaften (zum Beispiel Vorurteile über Randgruppen, Minderheiten oder
politische Gegner) mehr oder weniger subtil in Szene gesetzt und diese
dann einem breiten Publikum vorgespielt.
2.
Bei welchen Problemen hilft Cinetherapie, bei welchen nicht?
Sofern
ein Problem mit filmischen Mitteln darstellbar ist und Emotionen
anspricht¸ kann Cinetherapie immer von Nutzen sein. Auch in Form reiner
Faktenvermittlung ist Cinetherapie hilfreich (Wie macht man etwas? Wie
lösen andere ein bestimmtes Problem? Was geht in anderen Menschen vor? Wie
wirken sich manche Verhaltensweisen langfristig aus? Was darf man, was
nicht?).
3. Nutzt mir
Cinetherapie beim Gefühl beruflich festzustecken?
Sicherlich dann, wenn ich mich auf einen thematisch geeigneten Film
einlasse (siehe Punkt 1) und ich mich zumindest teilweise mit einer der
Figuren oder dem Thema identifizieren kann. Wer unter „Mobbing-Problemen“
in einem Finanzamt leidet, wird nicht unbedingt Parallelen in einem Film
entdecken, in dem eine Angestellte gegen Umweltsünder kämpft. Auch ist es
nicht immer leicht, die vor der Skyline von Los Angeles gezeigten Lösungen
auf die Situation einer ostdeutschen Kleinstadt zu übertragen. Gut
gemachte Spielfilme können wie moderne Märchen wirken, die wichtige
Weisheiten transportieren und Mut machen. Gerade wenn man „feststeckt“,
ist es gut, die Fülle der oft vorhandenen Alternativen aufgezeigt zu
bekommen. Spielfilme haben dadurch, dass sie nicht nur mehrere Sinne,
sondern auch unser Gefühlsleben ansprechen, eine besondere
Motivierungskraft.
4. Wie hilft mir
Filmtherapie, was geht da genau in mir vor?
Ein
Film kann lange verdrängte Gefühle, Wünsche und Konflikte an die
Oberfläche bringen, zum Beispiel Gefühle aus der Kindheit, Wut oder
Sehnsüchte. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene lernen besonders
gerne am Vorbild. Ein thematisch gut aufbereiteter Kinofilm bietet daher
fast immer mehrere „Lektionen in Lebenskunst“. Das Wissen, „dass es sich
ja nur um einen Film handelt“, den man zudem aus sicherem Abstand
verfolgen und jederzeit verlassen kann, erleichtert es, sich auf
unangenehme oder beängstigende Themen einzulassen. Die vielleicht
beunruhigende Nachricht: Jeder Film, der uns bewegt hat, hinterlässt
Spuren und verändert uns. Beispiel: Wer in einem chaotisch wirkenden
Suchbild einmal eine „Figur“, „Struktur“ oder „Gestalt“ erkannt hat,
schafft es bei erneuter Betrachtung nicht mehr, diese Figur nicht mehr zu
sehen. Mit Ähnlichem ist auch bei Filmen zu rechnen: Wenn wir einmal eine
Lösung kennen gelernt haben, können wir nur noch mit großer Mühe so tun,
als gäbe es sie nicht. Vor allem das Miterleben von Filmen hinterlässt
bleibende Spuren. Sportler nutzen dieses Phänomen, indem sie sich wichtige
Wettkampfsituationen „wie in einem inneren Film“ immer und immer wieder
vorstellen. Dabei ist bewiesen, dass allein schon dieses innere Kino die
spätere Leistungsfähigkeit verbessert. Warum also sollte echtes Kino
weniger wirksam sein?
5. Wie unterscheiden
sich die Effekte der Cinetherapie von der Beratung durch einen Job-Coach?
Leider
gibt es dazu noch keine Untersuchungen, da die Cinetherapie bisher noch
ein exotisches Dasein führt. Ein wesentlicher Unterschied besteht
zumindest darin, dass Coaching immer auch stark die Vernunft anspricht und
neue Erkenntnisse in Form eines Dialogs zwischen Coach und Gecoachtem
vermittelt. Bei einem guten Coaching ermutigt der Coach zwar seinen
Klienten, reale und mit Emotionen verbundene neue Erfahrungen zu machen.
Dies erfolgt allerdings oft außerhalb der Coaching-Sitzung in einer
zweiten Phase. Dagegen spricht die Cinetherapie vor allem das Unbewusste
in uns an, insbesondere unsere Gefühle (die uns in der Regel ja
beherrschen). Dies geschieht bereits, während wir den Film erleben.
Coaching dürfte letztlich deswegen erfolgreicher wirken, weil man einen
Coach meist mit dem Ziel aufsucht, anschließend im Leben etwas anders zu
machen. Dagegen hat man diese Vorstellung selten, wenn man sich ins Kino
begibt.
6. Sollte ich mich
nach dem Erleben eines Spielfilms mit anderen darüber austauschen oder
mir Notizen machen? Nutzen mir die Filme bereits intuitiv?
Wer
sich im Anschluss an einen Kinobesuch mit anderen austauscht, profitiert
zusätzlich noch von dem unter Punkt 5 beschriebenen „Coaching-Effekt“.
Denn durch das Gespräch und die Auseinandersetzung werden nun auch im
Bewusstsein (verbalen Gedächtnis) bzw. den dafür verantwortlichen
Nervenverbindungen neue Spuren gelegt. Dies hat den Vorteil, dass ich in
künftigen Situationen nicht nur (auf mittlerweile hoffentlich
vorhandenes!) intuitives Wissen zurückgreifen kann. Zusätzlich steht mir
jetzt auch das so genannte explizite Gedächtnis zur Verfügung, mit dessen
Hilfe ich mich selbst an meine neuen Erkenntnisse und Entscheidungen
erinnern und zu deren Umsetzung motivieren kann. Der Austausch mit
Begleitern hat auch den Vorteil, dass ich durch andere auf Gesichtspunkte
und Erlebnismöglichkeiten aufmerksam gemacht werde, die mir selbst
entgangen sind (Jeder erlebt einen Film anders!).
7. Gibt es
Kriterien, wie Filme beschaffen sein müssen, die mir etwas bringen?
Diese
Frage lässt sich nur individuell beantworten. Auch ein schlecht gemachter
Film kann im Einzelfall dramatische Wirkungen entfalten, sofern sich ein
Zuschauer ausreichend angesprochen fühlt. Deswegen macht es wenig Sinn,
einzelnen Filmen eine bestimmte Wirkung zuzuschreiben, wie man es von
Medikamenten gewohnt ist. Wenn sich 10 Menschen den gleichen Film ansehen,
werden bei jedem andere Effekt zutage treten. Mit großer Sicherheit werden
sich nicht alle Zuschauer mit der gleichen Person im Film identifizieren,
obgleich sich die Hauptdarsteller dafür besonders anbieten. Vermutlich
würde man Nebendarstellern keinen Oscar verleihen, wenn sich diese Rollen
nicht ebenfalls zur Identifikation anbieten würden. Realistische und
alltagsnahe Handlungen erleichtern sicherlich die Identifikation.
Andererseits werden uns manche Phänomene mitunter umso bewusster, je mehr
sie verfremdet werden (etwa wenn ein Computer oder „Marsbewohner“ so
dargestellt wird, als werde er von Gefühlen geleitet). Welcher Film sich
für einen Menschen besonders „eignet“, können vermutlich am besten seine
Freunde oder - falls er einen solchen hat – sein Coach oder
Psychotherapeut beurteilen.
8. Wie sind die
Nebenwirkungen einer Filmtherapie?
Ein
einzelner gezielt zu therapeutischen Zwecken eingesetzter Film wird kaum
Schaden anrichten können, insbesondere dann nicht, wenn man sich
anschließend intensiv mit seinem Inhalt auseinandersetzt. Problematisch
wird es vielleicht dann, wenn man sich selbst ein Übermaß an Filmkonsum
verordnet und dabei dann auch nicht wählerisch vorgeht. Wer sich nur in
der virtuellen Welt des Kinos aufhält, läuft Gefahr, sich dort
einzurichten, also passiv in der Rolle des Zuschauers zu verharren, sich
von Alltagsproblemen abzulenken und so das wahre Leben an sich
vorbeirauschen lassen. Filme können andere wichtige
Problemlösungsstrategien nicht ersetzen (wie Auseinandersetzungen und
Konfliktlösungen). Da Spielfilme nicht zu therapeutischen Zwecken erstellt
werden, wird es in den meisten Filmen immer die ein oder andere Rolle
geben, bei der eine Identifikation negative Folgen hat (z.B. bei Anwendung
von Gewalt). Auch ist nicht auszuschließen, dass manchmal Szenen wie ein
„Schock“ wirken, der bei entsprechender Veranlagung zu Ängsten, vermehrter
Schreckhaftigkeit, Alpräumen, Antipathien und anderen ungünstigen
Konsequenzen führen kann.
9. Wie oft sollte
ich mir einen Film anschauen?
Kinofreunde wissen, dass man sich einen guten Film schon deswegen nicht
oft genug ansehen kann, weil man nicht nur immer wieder Neues entdeckt,
sondern weil man den gleichen Film mitunter auch wieder ganz anders
erleben kann. Letzteres verdeutlicht nochmals, dass es für den Effekt
eines Films eben vor allem auf uns selbst und unsere jeweilige Verfassung
ankommt. Ansonsten gilt das schon beim Beispiel des Sportlers
angesprochene Prinzip des mentalen Trainings: Je öfter ich mir ein neues
Verhalten vorstelle (und dazu kann mir das Betrachten eines Spielfilms
helfen), um so deutlichere Effekte wird dies bei mir hinterlassen.
10. Welche
Erfahrungen zur Filmtherapie gibt es?
„Filmtherapie“ ist keine offiziell anerkannte Behandlungsform. Die Idee
wurde erstmals in den USA veröffentlicht und ist keinesfalls eine
eigenständige Therapiemethode. Sie ergänzt das mittlerweile schon sehr
breite Spektrum an therapeutischen Interventionsmethoden und dürfte genau
so bedeutsam sein wie etwa die Lektüre einschlägiger Bücher. |