Interview KrankenkassenRATGEBER mit Dr. Dr. med. Herbert Mück, Facharzt
für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie/Sportmedizin (Köln) am
97.12.2005
1. Viele Krankenkassen
bezuschussen im Rahmen ihrer Präventionsprogramme neuerdings
Wellness-Reisen. Worin liegt aus medizinischer Sicht der Effekt solcher
Angebote?
Diese Frage spricht den
sog. Urlaub auf Krankenschein an, der seit gut einem Monat öffentlich
diskutiert wird und z. B. den Versicherten von DAK und KKH ab April
nächsten Jahres zur Verfügung stehen soll und auch von einem großen
Reiseunternehmen beworben wird. Künftig erhalten interessierte Versicherte
einen Zuschuss bis zu 150 Euro, sofern sie ihren Urlaub in entsprechenden
Hotels verbringen, mit denen die erwähnten Krankenkassen kontrollierte
Kur- und Fitnessprogramm entwickelt und vereinbart haben.
Ich begrüße diesen
Ansatz, da er möglicherweise Menschen erreicht, die sonst kaum im Hinblick
auf gesundheitsfördernde Maßnahmen aktivierbar sind, sei es weil sie
Hemmschwellen haben, im heimischen Bereich in entsprechende Einrichtungen
aktiv hineinzuschnuppern, sei es, weil ihr Alltag ihnen für solche
Unternehmungen keinerlei Raum lässt.
Statt von Wellness würde
ich in diesem Zusammenhang lieber von Fitness oder urlaubsintegrierten
Gesundheitsmaßnahmen sprechen. Denn Wellness ist ein sehr schillernder
Begriff, der häufig kritische Assoziationen weckt und seriöse Anbieter wie
die Krankenkassen leicht in schlechten Ruf bringt. So ging vor einigen
Jahren die Kritik um, dass Krankenkassen unter dem Deckmantel der
Prävention, aber dem Ziel der Kundenwerbung und Kundenbindung
„Bauchtanzkurse“ finanzieren würden. Das hat dem Präventionsansatz damals
sicherlich auch geschadet. Unter dem Begriff Wellness lässt sich zudem
fast alles verkaufen. Dagegen stellen Begriffe „Fitness“ oder
„urlaubsbezogene Gesundheitsmaßnahmen“ deutlicher den Bezug zum Körper
her. Zudem umfassen sie viele Maßnahmen, die mittlerweile wissenschaftlich
geprüft und in ihrem Effekt bestätigt sind. Das gilt insbesondere für
Ausdauer-, Kraft-, Koordinations- und Flexibilitätstraining. Auch die
Ernährungsberatung, Entspannungskurse und ein sog. Antistresstraining
gehören in das Paket bewährter gesundheitsfördernder Maßnahmen. Am Begriff
Wellness ist nicht zuletzt auch kritisch, dass er vor allem das momentane
Wohlbefinden beschreibt. Dieses kann jedoch flüchtig sein. Im Gegensatz
dazu geht es den Krankenkassen um nachhaltige Veränderungen, die auf jeden
Fall über die Dauer des Urlaubs hinauswirken und im Optimalfall lebenslang
anhalten sollen.
Zurück zur Frage nach dem
Nutzen, den „Urlaubs-Reisen auf Krankenschein“ erzielen können: Im Prinzip
ist die Verbindung von „Reisen und Fitness bzw. Gesundheit“ alles andere
als neu. Denn viele klassische Reiseformen dienen besonders der
Fitness-Steigerung oder dem Fitness-Erhalt. Beispiele sind Reise-Angebote,
in deren Mittelpunkt Wandern, Radfahren, Paddeln, Skifahren, Segeln und
andere Sportangebote stehen. Auf solche Reisen zielt das neue Angebot der
Krankenkassen nicht ab. Dies mag durchaus ungerecht erscheinen, da einige
schon immer gesünder lebende Personen hierbei keine Förderung erhalten.
Dass Gesundheit generell ein legitimes Urlaubsanliegen ist, spiegelt sich
nicht zuletzt im Begriff der sog. Kurlaube wider, die schon lange und
weitgehend kritiklos von Krankenkassen bezuschusst werden, also auch schon
bisher einen „Urlaub auf Krankenschein“ ermöglichten. Wie schon die
Bezeichnung „Kurlaub“ anklingen lässt, geht es dabei allerdings um
kurative (also heilende) Maßnahmen und nicht vorrangig um Prävention.
Die von den Krankenkassen
künftig unterstützten Gesundheits-Reisen verschreiben sich vor allem der
Gesundheitsvorsorge. Dabei wenden sie sich insbesondere an Personen, denen
diesbezüglich noch die notwendigen Erfahrungen bzw. Einblicke und
Einsichten fehlen. Um in den Erhalt eines Zuschusses zu kommen, müssen sie
bereit sein, einen nicht unerheblichen Teil ihrer Urlaubszeit dem Einüben
gesunder Verhaltensweisen zu widmen. Dazu gehört die regelmäßige Teilnahme
an qualifizierten Kursen, die am Urlaubsort angeboten werden. Vorerst ist
offenbar an bewährte klassische Interventionsmaßnahmen gedacht, wie
Bewegung, Ernährung und Entspannung (jeweils verbunden mit einer
entsprechenden Schulung). Als Bewegungsformen dürften vor allem Wandern,
Joggen, Radfahren, Schwimmen, Gymnastik und Krafttraining (z. B. im Rahmen
einer Rückenschule) im Vordergrund stehen. Die Tatsache, dass die
Teilnehmer auch einen Anteil an den Kurskosten übernehmen müssen (meist 20
Prozent) beugt der Gefahr vor, dass hier nur Trittbrettfahrer oder völlig
Unmotivierte teilnehmen, nur weil es etwas kostenlos mitzunehmen gibt. In
einigen Fällen lassen sich durch die Teilnahme an einem Urlaubskurs auch
noch sog. Bonuspunkte erwerben, die ab einer gewissen Höhe von den
Krankenkassen mit Prämien honoriert werden.
Der besondere Vorteil
eines solchen Urlaubsangebotes besteht darin, dass die Zugangsschwelle
niedriger liegt (nicht nur aufgrund der finanziellen Förderung). Auch
Scham dürfte im Rahmen eines Urlaubsangebotes geringer ausfallen. Letztere
könnte beispielsweise bei Personen eine Rolle spielen, die übergewichtig
sind und am Wohnort nur einen einzigen Sportanbieter haben. Dort würden
die Betreffenden riskieren, auf Bekannte zu stoßen und von diesen
belächelt zu werden. Im Urlaub, also unter Fremden und vermutlich gleich
Betroffenen, spielt diese Sorge vermutlich eine weitaus geringere Rolle.
Nach dem Motto „einmal
ist keinmal“ gehört zu den besonderen Stärken des Urlaubsangebotes, dass
über zwei bis drei Wochen konsequent ein neues Muster eingeübt wird. Wenn
dieses mit Freude und Erfolg einhergeht (nämlich Fitnesssteigerung,
besseres Körpergefühl, neue Genussmöglichkeiten, größere Entspanntheit und
Spaß), ist die Wahrscheinlichkeit durchaus groß, dass die hoffentlich neue
„Gewohnheit“ auch am Wohnort beibehalten wird.
Nicht zu unterschätzen
ist der soziale Effekt: Da die meisten Fitness-Angebote ein
Gruppen-Training beinhalten, wird es unweigerlich zu kommunikativem
Austausch unter den Teilnehmern kommen. Diese haben durch die Kurse einen
gemeinsamen Erfahrungsbereich, der Gespräche erleichtert. Solche Gespräche
dienen nicht nur der Vertiefung des gemeinsam Erlebten, sie verdeutlichen
den Teilnehmern auch, dass es insbesondere durch Sport, aber auch im
Rahmen von Entspannungs- und Ernährungskursen, leichter fällt, soziale
Kontakte zu knüpfen. Diese Motivation zu Sporttreiben und gesunder
Lebensführung sollte nicht unterschätzt werden, zumal Einsamkeit ebenfalls
ein gesundheitlicher Risikofaktor ist. Auch Familiengesundheitsurlaube
können vom sozialen Aspekt sehr profitieren, sofern sie die Erfahrung
vermitteln, dass man gesunde Aktivitäten gemeinsam betreiben und die dabei
erlebte Freude teilen kann.
Ehrlicherweise muss man
natürlich auch die Grenzen eines solchen Gesundheitsurlaubs klar sehen und
anerkennen: Mehr als ein Hineinschnuppern ist in ein bis drei Wochen nicht
möglich. Das gilt besonders für Neulinge (z. B. extrem übergewichtige
Personen), die nicht erwarten dürfen, den Urlaubsort vollkommen neu
geboren zu verlassen. Denn gerade bei Anfängern darf die Belastung nur
langsam, das heißt mit ausreichenden Abstand, gesteigert werden. In diesem
Zusammenhang wird sich für die Krankenkassen ein organisatorisches Problem
stellen: Ihre Angebote müssen ausreichend differenziert ausfallen. Sie
sollten also auch bereits fitteren Urlaubern individuell befriedigende
Trainingserfahrungen ermöglichen.
Entscheidend wird es
sein, ob der Transfer von der Urlaubssituation in den Alltag gelingt (was
ja bei anderen „Kurvarianten“ leider auch nicht immer gelingt). Hier
sollten die Krankenkassen geeignete Formen der Nachbetreuung entwickeln,
etwa indem sie Kontakte zu Gesundheitsanbietern am Wohnort vermitteln.
Überlegenswert wäre auch eine Verpflichtung der vom Fitness-Urlaub
profitierenden Krankenversicherten, einen Monat nach der Rückkehr einen
„Erfahrungsbericht“ zu verfassen. In diesem sollte dann auch die Frage
beantwortet werden, ob ein Transfer der Urlaubserfahrung in den Alltag
erfolgte.
Ich würde mir wünschen
und erwarte dies eigentlich auch, dass die beteiligten Krankenkasse die
Effekte ihres Urlaubsangebotes auf ihre Dauerhaftigkeit überprüfen. Sollte
sich ein anhaltender Effekt bestätigen, würde sich die entsprechende
Investition mit Sicherheit langfristig auszahlen. Denn fast alle
Modellrechnungen belegen, dass ein in die Vorbeugung investierter Euro
sich in Form ersparter Krankheitskosten meist mehrfach wieder einspielt.
2. Gibt es bestimmte
Berufs-, Risiko- bzw. Altersgruppen, denen Sie besonders zuraten würden,
solche Präventionsprogramme zu nutzen?
Prävention nutzt jedem.
Wir sind alle dem Risiko ausgesetzt, im Lauf des Lebens mit chronischen
Erkrankungen konfrontiert zu werden. Diesen kann durch eine gesunde
Lebensführung eindeutig entgegen gewirkt werden. Am besten belegt ist dies
für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes oder die Arthrose, bei denen
Übergewicht und Bewegungsmangel sowie Fehlernährung zu den eindeutigen
Risikofaktoren gehören. Wer schon übergewichtig ist, bei dem greift die
„Vorbeugung“ schon nicht mehr voll.
Am sinnvollsten wäre es,
schon im Kindergarten und in der Schule gesundheitsförderndes Verhalten zu
verinnerlichen, was bislang – wenn überhaupt – nur im Rahmen des (zudem
oft ausfallenden) Sportunterrichts erfolgt.
In einer Zeit, in der es
immer mehr Single-Haushalte gibt und Depressionen offenbar zunehmen,
sollte man auch „Einsamkeit“ als Gesundheitsrisiko ernst nehmen. Indem
Gesundheitsurlaube Menschen zu gemeinsamen Aktivitäten und damit auch zum
sozialen Austausch motivieren, dürften sie auch in seelischer Hinsicht
vorbeugende Wirkungen entfalten.
3.
Verbraucherbeschützer warnen vor sog. Wellnepp-Anbietern. Haben Sie Tipps
für Wellness-Fans, wie sie schwarze Schafe der Branche erkennen können?
Wie in jedem Beruf und in
jeder Branche existieren sicher auch im Wellness-Bereich schwarze Schafe.
Es gibt mittlerweile sog. Gütesiegel, die von mehr oder weniger selbst
ernannten Qualitätsprüfern erteilt werden, insbesondere im Fitnessbereich.
Diese erlauben sicherlich eine grobe Vorauswahl. Das Fehlen eines
Gütesiegels bedeutet allerdings nicht zwingend, dass die betreffende
Einrichtung ein schlechtes Angebot macht. Vor allem kleinere und deswegen
nicht schlechtere Einrichtungen können es sich einfach nicht leisten, die
teuren Prüfgebühren zu erbringen, zumal diese oft jährlich gefordert
werden.
Bei den erwähnten
„Gesundheitsreisen“ dürfte sich das Problem nicht stellen, da die
Krankenkassen daran interessiert sind, am Urlaubsort nur mit
qualifizierten Betreuern zusammen zu arbeiten. Sie werden daher darauf
achten, dass sich keine schwarzen Schafe einmogeln.
Zusammengefasst gilt für
andere „Gesundheitsanbieter“:
-
Erfragen Sie, ob die Einrichtung
ein „Gütesiegel“ aufweisen kann.
-
Bitten Sie Ihre Krankenkasse um
eine Bewertung.
-
Befragen Sie
Verbraucherverbände.
-
Fahnden Sie im Internet nach
Beurteilungen bisheriger Nutzer.
-
Lassen Sie sich von der
Einrichtung Unterlagen zusenden und bitten Sie um eine unverbindliche
Besichtigungsmöglichkeit.
-
Vergleichen Sie die betreffende
Einrichtung mit ähnlichen Anbietern.
4. Besondere
Bemerkungen, Anmerkungen, Statements
Leider sind von den
Krankenkassen gemachte „Wellness-Angebote“ vor einigen Jahren etwas in
Verruf geraten. In Zeiten knapper werdender Versicherungsbeiträge flammte
Kritik daran auf, dass Gelder zur Finanzierung von „Bauchtanzkursen“ und
ähnlichem verschleudert würden. Dies hat die meisten Kassen zu einer
restriktiveren Ausgabenplanung veranlasst, sehr zum Leidwesen des
Präventionsgedankens. Nachdem in der letzten Legislaturperiode ein neues
Präventionsgesetz entworfen wurde, was von der neuen Regierung
möglicherweise aufgegriffen wird, bleibt zu hoffen, dass sich die
Krankenkassen auch in diesem Bereich wieder stärker engagieren können.
Daraus wurde folgender
Hörbeitrag entwickelt:
Storyboard
Wenn das Jahr seinem Ende entgegen geht, dann klopfen sie wie alte
Bekannte an unsere Tür - die guten Vorsätze: Endlich gesünder leben,
mehr Bewegung, mehr Sport, bewusstere Ernährung, weniger Stress.
Einen guten Einstieg in eine bewusstere Lebensweise bieten
Gesundheitsreisen und Aufenthalte in Wellness-Hotels. Was viele
Verbraucher nicht wissen: Die Gesetzlichen Krankenkassen fördern solche
lobenswerten Reisewünsche mit Zuschüssen.
So
lassen sich z.B. bei einem Aktiv-Kurzurlaub bis zu 80% der anfallenden
Kurskosten sparen.
Dr.
Herbert Mück , Sportmediziner, Psychotherapeut und Wellness-Experte:
O-Ton1
Die von den Krankenkassen unterstützten Gesundheitsreisen verschreiben
sich vor allem der Gesundheitsvorsorge. Künftig erhalten interessierte
Versicherte einen Zuschuß bis zu 150 Euro, sofern sie ihren Urlaub in
entsprechenden Hotels verbringen, mit denen die Krankenkassen
kontrollierte Kur- und Fitneßprogramme vereinbart haben. Dazu gehört die
regelmäßige Teilnahme an qualifizierten Kursen, auch die
Ernährungsberatung, Entspannungskurse und ein sogenanntes
Anti-Stress-Training gehören in das Paket bewährter
gesundheitsfördernder Massnahmen. In einigen Fällen lassen sich durch
die Teilnahme an einem Urlaubskurs auch noch sogenannte Bonuspunkte
erwerben, die ab einer gewissen Höhe von den Krankenkasen mit Prämien
honoriert werden.
Im
Unterschied zu herkömmlichen Kuren darf Mann bzw. Frau sich durchaus als
Urlauber fühlen. Spezielle Reiseveranstalter bieten Gesundheits-und
Wellnessreiseziele in beliebten Urlaubsländern an. Krankenkassen wie die
DAK oder die KKH vermelden langfristige Kooperationen mit
Reiseunternehmen.
Denn fern von zu Hause fällt die Hemmschwelle schon mal leichter, sich
mit Nordic Walking-Stöcken oder Schweißband in der Öffentlichkeit
blicken zu lassen.
Aber was wird aus all den guten Anfängen, wenn mit dem Urlauber nach ein
oder zwei Wochen auch der Alltag zurückgekehrt ist ? Noch einmal Dr.
Mück:
O-Ton 2
Nach dem Motto "einmal ist kein mal" gehört zu den besonderen Stärken
des Urlaubsangebotes, dass konsequent ein neues Muster eingeübt wird.
Wenn dieses mit Freude und Erfolg einhergeht, nämlich
Fitness-Steigerung, besseres Körpergefühl, neue Genußmöglichkeiten,
größere Entspanntheit und Spass, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass
die neue Gewohnheit auch am Wohnort beibehalten wird.
Der Beitrag steht als MP3-Datei zum Download zur Verfügung unter:
http://www.infos.mueck.org/kkRATGEB_wellnessreisen.mp3
Weitere Links zum Thema "Medical Wellness":
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