Meine Lebens- und
Leidensgeschichte dauert nun schon mehr als 20 Jahre an, ich bin jetzt
39 Jahre alt.
Als ältestes von 4 Kindern
hatte ich schon früh zuhause Verantwortung zu übernehmen. Mein Vater hat
aber nie damit hinter dem Berg gehalten, dass er mich nicht mag (Meine
Eltern mussten wegen mir heiraten. Auf meine Frage, die ich mal
naiverweise gestellt habe, warum er denn dann noch 3 Kinde gemacht habe,
wenn er meine Mutter nicht mag, bekam ich was hinter die Ohren). Lob
bekamen in der Regel nur die anderen, ich durfte arbeiten. Einmal, da
war ich 16 hat er sogar vor Kunden (wir hatten ein kleines Geschäft)
gesagt, er hasst mich seit der Sekunde, ich der ich geboren wurde. Ich
habe immer gedacht, ich müsse was Schlimmes sein und habe geschuftet wie
blöde, um vielleicht etwas Anerkennung und Lob zu bekommen. In dieser
Zeit habe ich aus Frust angefangen zu essen (zu Anfang nachts, damit es
keiner mitbekam. Erbrochen habe ich nicht.)
Meine Geschwister durften
immer mehr als ich und wenn ich meine (vermeintlichen) Rechte versucht
habe einzufordern, dann gab es in der Regel Ärger (Solange du deine Füße
unter meinen Tisch streckst...).
Als
ich dann meinen ersten Freund hatte (mein jetziger Mann), gab es auch
nichts als Ärger, weil er meinen Eltern nicht recht war. Gegenüber
seinen Eltern haben sie mich beschimpft und als Lügnerin und Hure
betituliert, nur weil ich mir etwas sexy Unterwäsche gekauft hatte.
Seine Eltern waren sehr nett zu mir,
aber seiner Mutter konnte ich es anfangs nie recht machen. Naja, wir
sind trotzdem zusammengezogen und haben vor 10 Jahren geheiratet. Aber
irgendwie bin ich den Ärger mit meinen Eltern nie losgeworden, sogar
Alpträume habe ich bekommen und das Essen wurde schlimmer. Einmal, meine
Eltern hatten sich zwischenzeitlich getrennt, hat mein Vater bei mir
angerufen und mich an meine Tochterpflichten erinnert. Da habe ich das
erste mal gewagt, mich zu wehren (und hinterher ein schlechtes Gewissen
gehabt). Vorher bin ich immer gesprungen, wenn meine Eltern gerufen
haben, was oft zum Streit mit meinem Mann (damals noch Freund) führte.
Zwischenzeitlich war ich auf 100 Kilo "angewachsen".
Mit dem Haushalt kam ich irgendwann
nicht mehr klar, ich glaube das war zu der Zeit, als die Mutter meines
Mannes noch einen Schlüssel zu unserer Wohnung hatte und in (un)schönen
Abständen meinen Haushalt kontrollierte, nicht ohne mir jedes Mal zu
sagen, was für ein Versager ich doch sei und dass ich ihren Sohn gar
nicht verdient hätte. Sie hat es sich auch nicht nehmen lassen, anderen
fremden Leuten von ihren missratenen Kindern zu erzählen (ich erinnere
mich an einen Tag als wir für sie eine neue Wohnzimmer-Garnitur kaufen
wollten und sie der Verkäufern erzählte, dass wir die vorherige kaputt
gebumst hätten!).
Das Essen wurde noch schlimmer und ab
einem Punkt konnte ich mich zu nichts mehr richtig aufraffen. Ich ließ
mich und den Haushalt immer weiter gehen. Ich muss erwähnen, dass ich
berufstätig bin und ab einem gewissen Punkt diese Lethargie auch hier
Einzug hielt (ich kann das aber noch gut verbergen).
Ass dann meine Schwiegereltern (im
gleichen Haushalt lebt die behinderte Schwester meines Mannes)
erkrankten, haben mein Mann und ich uns um sie gekümmert, das heißt, ich
bin einkaufen gefahren, habe sie zu Ärzten begleitet, habe ab einem
Punkt Essen auf Rädern und den Pflegedienst organisiert und mich
ansonsten um alles -Organisatorische gekümmert. Da mein Mann außerhalb
arbeitete und auch gerade in der Fortbildung war, war es ihm nur an den
Wochenenden möglich. Trotzdem war ich immer an allem, was ihr Sohn in
den Augen meiner Schwiegermutter falsch gemacht hatte, Schuld. Auch das
wir (nach langer Suche) katholisch wurden, war meine Schuld. Ihr Sohn
hätte so etwas nie gemacht. Außerdem war ich zu fett, um jemals Kinder
zu kriegen und das könnte ich eh nicht und und und, es wurden 150 Kilo.
Regelmäßig wurde ich als seelischer Abfalleimer missbraucht, was mich
(so doof muss man sein) auch noch stolz machte. So viel Vertrauen!
Heute weiß ich, dass jeder Stich bei
mir einen Fressanfall ausgelöst hat. Aber ich war immer der Meinung, ich
müsse dankbar sein, weil sie mich ja damals aufgenommen hatten und uns
Anfangs auch finanziell unterstützt hatten (nicht ohne dieses jedes Jahr
immer wieder zu erwähnen).
Kurz vor ihrem Tod (nach mehreren
Schlaganfällen) hat meine Schwiegermutter uns dann noch erklärt, sie
wolle nicht, dass wir an ihrer Beerdigung teilnehmen und sie wolle
anonym bestattet werden. So hat sie uns auch das genommen.
Zwischenzeitlich ist auch mein lieber
Schwiegervater (nach schwerem Krebs und Demenz) gestorben, die Schwester
meines Mannes ist in einem Pflegeheim und ich fürchte mich vor der
Zukunft, denn sie hat viele Muster ihrer Mutter übernommen und beginnt
(wenn auch eher zaghaft) dieselben Reden zu schwingen. Wir versuchen ihr
mit Liebe und Geduld zu zeigen, dass nicht alles so schlecht ist, wie
sie das von ihrer Mutter mitbekommen hat, aber schaffen wir das?
Ich muss sehr oft weinen und kriege
jetzt gar nichts mehr auf die Reihe. Ich habe sogar schon an Selbstmord
gedacht.
Jetzt war ich bei einer
Psychotherapeutin, aber die hat mir erst mal nur Tabletten (Fluoxetin)
gegeben und meinte, die müssten helfen. Ansonsten solle ich einfach mal
ein paar Wochen Urlaub nehmen und die Wohnung auf die Reihe kriegen. Ich
habe ihr gesagt, dass das Arbeiten an sich nicht das Problem ist, ich
kann mehrere Tage wie blöde schuften und alles sauber machen, aber ich
schaffe es nicht dabei zu bleiben. Ich habe schon versucht, mich mit
kleinen Erinnerungszetteln, Versprechungen gegenüber dritten etc. zu
überlisten, aber ich schaffe es nicht. Das konnte sie nicht verstehen.
Kann man mir überhaupt helfen? Ich
möchte so gerne wieder glücklich sein und eine schöne Wohnung haben und
Freunde und nicht mehr so viel weinen. Ist das zuviel verlangt? |