Wien/Kirchdorf (pte/03.01.2006/06:15)
- Ein Grund, warum Jugendliche - in erster Linie Mädchen - immer wieder
unter Essstörungen leiden, könnte darin liegen, dass die Kinder zu wenig
gefordert werden. Die oberösterreichische Medizinerin und
Psychotherapeutin Barbara Reiterer, die auch als Schulärztin tätig ist,
hat sich des Themas angenommen und wesentliche Kernbereiche von
Verhaltensregeln für Eltern, deren Kinder unter solchen Problemen
leiden, heraus gearbeitet.
"Betroffen sind häufig Mädchen, die in geordneten Verhältnissen
aufwachsen und deren Eltern immer wieder erklären, sie hätten ihre
Kinder umhätschelt und versucht, alles ganz perfekt zu machen", so
Reiterer im pressetext-Interview. Es komme häufig vor, dass die Kinder
eingesperrt in ihren Zimmern sitzen würden und die gemeinsame
Nahrungsaufnahme aber auch andere Aktivitäten verweigern. In seinem
Bestseller "Fordern statt Verwöhnen" teilt der Autor Felix von Cube
Erkenntnisse mit, die vielleicht Erklärungsansätze liefern können, meint
die Expertin. "Cube verknüpft die Erkenntnisse der Verhaltensbiologie
mit den Mechanismen von Verwöhnung, Anspruchsverhalten und Aggression."
Demnach führe Verwöhnung als Lust ohne Anstrengung zu verheerenden
Folgen: zu Umweltzerstörung und Gewalt, zu Drogensucht und zu
Null-Bock-Gefühlen.
"Als Schulärztin und in meiner psychotherapeutischen Praxis erlebe ich
viele derartige Fälle", bestätigt die Medizinerin. "Lust ohne
Anstrengung führt zu aggressiver Langeweile und diese sucht nach immer
größerer Lust. Damit ein junger Mensch zu einem souveränen, reifen
Erwachsenen werden kann, braucht es die Erziehung, die vom Fordern zum
Selbstfordern führe. Sich selbst zu Fordern ist mit Anstrengung
verbunden und zu dieser Anstrengung ist das kleine Kind bei
entsprechender Motivation und Begleitung bereit, alleine ist es jedoch
dazu nicht fähig ein gutes Vorbild erleichtert den Lernprozess. "Es gibt
einige wesentliche Bereiche, an die Eltern fordernd und damit auch
fördernd herangehen können, damit sie ihnen dieses Schicksal ersparen
können", zeigt sich Reiterer überzeugt. Diese sind: Ernährung, Bewegung,
Kommunikation, Stimmung und Umwelt .
"Zum Thema Ernährung erlebe ich immer wieder, dass es von großem Vorteil
sein kann, wenn es in der Familie Regeln, Struktur und Rituale gibt",
erklärt die Expertin. So lerne ein Kind ein Ritual und Verbindlichkeit,
wenn es vor dem Essen die Hände waschen muss. Es lerne warten -
trainiere damit Frustrationstoleranz, wenn mit dem Essen gemeinsam
begonnen wird. "Kinder lernen Achtsamkeit und Rücksicht, wenn sie sich
an die Speisenfolgen halten, und nicht bereits die Nachspeise
verschlingen dürfen, während die Erwachsenen noch die Hauptspeise
essen." Die Expertin rät zudem, dass Kindern im Alltag gesunde,
selbstkreierte Hausmannskost angeboten wird. "Beim Thema Bewegung stelle
ich fest, dass Kinder zwar einen natürlichen Bewegungsdrang haben,
jedoch Modelllerner sind. Das heißt, wenn sich Eltern wenig bewegen, tun
es auch die Kinder immer weniger", so Reiterer. Es sei nicht günstig
Kinder danach zu fragen, ob sie wandern gehen wollen, oder nicht. "Wenn
die ersten zähen Minuten überwunden sind, haben die meisten gesunden
Kinder Spaß an den Wanderungen." Zum Thema "Fordern zur Bewegung" gehöre
es auch, Kinder vor TV- und Computerverwahrlosung zu schützen.
"Über die sprachliche Kommunikation vermitteln wir nicht nur Information
sondern auch Gefühle und Werte", betont Reiterer. "Wenn ein dreijähriges
Mädchen nur mit ihrem Zeigefinger in Richtung Butter zu zeigen braucht,
und beide Eltern fast synchron zur Butter greifen, um sie ihr zu
reichen, dann haben sie dem Kind die Chance geschmälert, sich gut
artikulieren zu lernen." Es sei oft eine große Herausforderung für die
Eltern, wenn Kinder im Trotzalter sehr zornig werden und die Eltern
beschimpfen, dennoch ruhig und besonnen zu bleiben. "Das Kind vor seinem
eigenen Trotz zu schützen und trotzdem Mut zu den Grenzen zu haben und
dem Kind abzuverlangen, dass es Grenzen und Ablehnung einfach aushalten
muss." Letztlich sei die Stimmung im Haus von großer Bedeutung für die
seelische Gesundheit aller Mitglieder und auch für die Energie, die
verfügbar ist. Zudem ist es erwiesen, dass Kinder, die verwöhnt werden,
schlechter vor Suchtentstehung geschützt sind", erklärt die Expertin.
"Was nun die Umwelt anbelangt möchte ich meine persönliche Meinung
einbringen, dass wir für unsere Kinder kaum etwas so nachhaltiges tun
können, als auf diese acht zu geben und es den Kindern zu zeigen, wie
das geht". Hier lasse sich Achtsamkeit fast nahtlos mit Fordern und
Fördern verbinden. "Nicht jeder Konsumwunsch muss erfüllt werden, man
kann Kindern zeigen, dass es nicht nur materielle Wünsche geben muss,
sondern vielleicht Erlebnis- oder Begegnungswünsche", meint die
Medizinerin. "Nicht alles, was Spaß macht, muss einen Schaden an der
Umwelt hinterlassen, und es liegt in der Führungsaufgabe der
Erwachsenen, den Kindern diesbezüglich Achtsamkeit zu zeigen aber auch
abzuverlangen", so Reiterer abschließend im pressetext-Gespräch. (Ende)
Quelle: pressetext Nachrichtenagentur GmbH |