Chronische Depressionen
haben bis heute keine sehr erfreuliche Prognose. An dieser ungünstigen
Perspektive könnte sich in absehbarer Zeit einiges zum Guten wenden,
sofern die von James P. McCullough schon vor mehr als einem Jahrzehnt
entwickelte Methode CBASP bei chronisch depressiven Patienten konsequent
zur Anwendung kommt. CBASP steht für Cognitive Behavioral Analysis System
of Psychotherapy und wurde bereits im Jahr 2000 in einem umfangreichen
Manual beschrieben, das 2006 auch in deutscher Sprache erschien
(Psychotherapie der chronischen Depression. Cognitive Behavioral
Analysis System of Psychotherapy - CBASP. Urban & Fischer 2006). Dass
dieses Konzept bisher nur langsam von der deutschen Psychotherapie
rezipiert wurde, dürfte an der sehr nüchtern-formalen und dadurch
teilweise etwas trocken-theoretisch wirkenden Darstellungsweise der
damaligen Publikation gelegen haben. Diese Situation ändert sich mit dem
2012 im Springer Verlag erschienenen Folgewerk. Bereits der
Titel „Therapeutische Beziehung und die Behandlung chronischer
Depressionen“ ist richtungsweisend. Er verdeutlicht, dass es eben
nicht nur um kognitive Therapie im herkömmlichen verhaltenstherapeutischen
Sinne geht, sondern um die Nutzung der therapeutischen Beziehung als
Methode und Instrument. Um es direkt auf den Punkt zu bringen: CBASP geht
davon aus, dass chronische Depressionen sehr oft mit anhaltenden
interpersonellen Problemen und einer darauf bezogenen Hoffnungslosigkeit
einhergehen. Auf dieses Merkmal und die Möglichkeit des Um- und Neulernens
konzentriert sich der CBASP-Therapeut, indem er dem Patienten durch
authentische Rückmeldungen sein eigenes Erleben des Patienten in der
therapeutischen Beziehung transparent macht. So wird dem Patienten (oft
erstmalig!) bewusst, dass er selbst sehr wohl einen Einfluss auf
interpersonelle Situationen hat und dass er künftig bei verändertem
Verhalten auch andere Ergebnisse erzielen kann, als es bislang der Fall
war. So wird ein CBASP-Therapeut sofort und angemessen mitteilen, wenn er
sich durch ein Verhalten des Patienten verletzt oder in anderer Weise
emotional berührt fühlt. Dann wird er gemeinsam mit dem Patienten prüfen,
ob das betreffende Verhalten dem Patienten bereits vertraut ist, weil er
ähnliches schon in einer ihn prägenden früheren Beziehung erfahren hat
(oft sogar wiederholt und über lange Zeit).
Im letzten Schritt gilt es
dann, die Wahrnehmung des Patienten dafür zu schärfen, dass sein Verhalten
im Hinblick auf die Situation im Hier und Jetzt unangemessen war, weil
Person und Verhalten des Therapeuten sich deutlich von der früherer
Bezugsperson unterscheiden. Gelingt dieses Vorgehen, erlangt der Patient
mehrere Einsichten: 1. Ihm wird bewusst, dass er bislang in starren und
für seine Lebensbewältigung wenig hilfreichen Vorstellungen gefangen war
und dadurch andere Menschen ungenau bzw. verzerrt wahrnahm. 2. Er erfährt,
dass er keineswegs von seiner Umwelt isoliert ist, sondern untrennbar mit
dieser in Wechselwirkung steht („Bidirektionalität von Interaktion“). 3.
Er erlernt am Modell der therapeutischen Beziehung („prozedurales Lernen“)
neue Beziehungsfertigkeiten, so dass er sich von bisherigem unpassendem
Verhalten immer leichter lösen kann. 4. Langsam kann sich so ein Gefühl
von eigener „Wirksamkeit“ und damit schrittweise auch von Hoffnung
entfalten, verbunden mit der Bereitschaft zunehmend Verantwortung für das
eigene Verhalten und dessen Konsequenzen zu übernehmen. Da eine solche
Entwicklung mit „Depression“ nicht länger vereinbar ist, nehmen depressive
Gefühle zunehmend ab. Neben dieser für CBASP charakteristischen
Vorgehensweise („interpersonelle Diskriminationsanalyse“) gibt es noch
eine zweite zentrale Besonderheit der Methode: die „Situationsanalyse“.
Auch sie dient dem Zweck, dem Patienten aufzuzeigen, dass sein bisheriges
Verhalten wenig geeignet ist, diejenigen Ergebnisse zu erzielen, die er
sich eigentlich wünscht. McCullough schlägt dafür das folgende
sechsstufige Vorgehen vor: 1. Beschreiben der belastenden Situation. 2.
Bisherige Interpretationen dieser Situation durch den Betroffenen. 3.
Beschreiben des eigenen Verhaltens in der fraglichen Situation. 4.
Aufzeigen, zu welchem Endergebnis die Situation führte. 5. Beschreiben,
welches Ergebnis eigentlich erwünscht war. 6. Vergleich des (bisher)
erzielten mit dem eigentlichen Ergebnis. In der nun folgenden
„Lösungsphase“ werden vor allem die Punkte 2 (bisherige Interpretationen)
und 3 (bisheriges eigenes Verhalten) darauf überprüft, inwieweit sie sich
zum Erzielen des erwünschten Ergebnisses eignen. In aller Regel merken die
Patienten, dass sie viele ihrer Interpretationen und Verhaltensweisen
tunlichst revidieren sollten, was dann mit Hilfe des Therapeuten auch
versucht werden kann. McCullough empfiehlt, die hier skizzierten Schritte
und Elemente konsequent zu vollziehen und sich nicht zu anderen Themen
oder Aspekten vom oft sprunghaft wirkenden Patienten verführen zu lassen.
Wie der Autor schon in seinem früheren Buch hervorhob, will CBASP den
Patienten darin unterstützen, einen entwicklungspsychologischen Stillstand
auf einem „präoperatorischen“ Stadium (nach Piaget) zu überwinden. Dazu
fördert CBASP die Fähigkeit des Patienten, Probleme in sozialen
Beziehungen „formal operatorisch“ zu lösen und sich in sozialen
Beziehungen empathisch aufgeschlossen zu verhalten. Erläuterung:
Präoperatisch denkende Menschen haben eine hartnäckige eigene Weltsicht,
die sie nicht überprüfen oder hinterfragen; ihre Wahrnehmung wirkt von der
Umwelt entkoppelt. Ihr Lebensstil ist stark egozentrisch, „ich, mir und
mein“ sind die am häufigsten verwendeten Wörter, Empathie kann nicht
empfunden und Emotionen nur schwer oder kaum kontrolliert werden. Auf
einem formal operatorischen Funktionsniveau sind Menschen dagegen in der
Lage zu erkennen, welche Konsequenzen ihr Verhalten hat, und Empathie wird
möglich.
Quelle:
McCullough, James P.: Therapeutische
Beziehung und die Behandlung chronischer Depressionen. Cognitive
Behavioral Analysis System of Psychotherapy. Springer Verlag 2012.
ISBN 978-3-642-19638-6. 175 Seiten. Euro (D) 39,95,
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