Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

E-Mail: kontakt@dr-mueck.de (Keine Beratungen per Telefon oder E-Mail!) - Gerne können Sie diese Seite verlinken!

 

Web www.dr-mueck.de

Home
Nach oben
Impressum/Vorwort
Stichwortverzeichnis
Neues auf dieser Website
Angst / Phobie
Depression + Trauer
Scham / Sozialphobie
Essstörungen
Stress + Entspannung
Beziehung / Partnerschaft
Kommunikationshilfen
Emotionskompetenz
Selbstregulation
Sucht / Abhängigkeit
Fähigkeiten / Stärken
Denkhilfen
Gesundheitskompetenzen
Selbsthilfe+Gesundheitstipps
Krisenintervention
Therapeuten-Suche
Über die Praxis Dr. Mück
Konzept+Methoden
Erfahrungsberichte
Lexikon/Häufige Fragen
Innovationen / Praxisforschung
Wissenschaftsinformationen
Gesundheitspolitik
Infos auf Russisch
English Version
 

 


 

Depression - ein Risikofaktor für Krebsleiden?

von Prof. Dr. med. Peter Joraschky, Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Dresden

Um es vorwegzunehmen: Depressionen im Sinne einer affektiven Psychose gehen nicht mit einer erhöhten Krebsinzidenz einher. Dagegen scheint die Neigung zu depressiven Zuständen, die sich durch Hilf- und Hoffnungslosigkeit auszeichnen, Entstehung und Verlauf eines Tumorleidens beeinflussen zu können. Im therapeutischen Umgang mit dem Patienten sollte man deshalb nicht pauschal auf die Diagnose "Depression" abstellen, sondern die verschiedenen Formen der Affektregulation unterscheiden und auf die jeweils vorliegende gezielt eingehen. Die meisten der im folgenden zusammengefassten Überlegungen sind vorerst spekulativ und müssen durch prospektive Studien bestätigt werden.

   Die Vermutung, dass Depressionen (im Sinne einer Verlustreaktion) die Krebsentstehung fördern können, war für die psychoonkologische Forschung wegbereitend. Dabei gilt von Anfang an die Einschränkung, dass Verlust und missglückte Trauerarbeit generell mit erhöhter Morbidität und Mortalität verbunden sind. Dies macht verständlich, warum bei den Betroffenen auch Krebsleiden häufiger auftreten. Eine spezifische Ursache von Tumorerkrankungen sind Verlust und missglückte Trauerarbeit also nicht. Es kommt hinzu, dass weniger der Verlust pathogen wirkt, als vielmehr die Art, in der der Patient dieses Ereignis subjektiv verarbeitet.

   Depressionen können sich psychodynamisch unterschiedlich manifestieren. Im Zusammenhang mit der Krebsentstehung scheinen vor allem "autoaggressive" Verlaufsformen eine Rolle zu spielen. Deren Kennzeichen sind: innere Unruhe, nach innen gerichtete Aggressionen, Schuldgefühle, Selbstverachtung und Selbstwertminderung. Am Ende stehen oft Erschöpfung, Selbstaufgabe sowie Gefühle der Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Die letztgenannten spiegeln den Verlust persönlicher Autonomie wider. Dabei beschreibt der Begriff "Hilflosigkeit" das Erleben, nicht mehr die eigene Lebenssituation beeinflussen und kontrollieren zu können. Der Ausdruck "Hoffnungslosigkeit" bezieht sich vor allem auf Verlassenheits- und Verlusterfahrungen. Hoffnungslosigkeit äußert sich unter anderem in einem Bruch zwischen Vergangenheit und Zukunft sowie in der Unfähigkeit, zwischenmenschliche Bindungen wieder aufzunehmen.

Beeinflussen Depressionen den Krankheitsverlauf?

   Viele klinische Beobachtungen weisen darauf hin, dass eine hoffnungsvolle und "kämpferische" Einstellung lebensverlängernd wirken kann, sofern man als Vergleichsgruppe verzweifelte oder resignierende Kranke wählt. Für den Erfolg ist es wichtig, dass der Patient auf die Behandlung vertraut. Die Prognose ist umso günstiger, je mehr es ihm gelingt, neue zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und dadurch frühere Verluste zu ersetzen.

Therapeutische Schlussfolgerungen

  Für den behandelnden Arzt stellen sich zwei Aufgaben: Zum einen sollte er den Patienten zu einer aktiven Auseinandersetzung mit seinem Tumorleiden bewegen. Zum anderen sollte er ihn mit dem Hinweis beruhigen, dass Niedergeschlagenheit und schlechte Tage normal sind und dass sie den Krankheitsverlauf nichtnegativ beeinflussen müssen.

   Dabei darf das kämpferische Moment keinesfalls überbetont werden (wozu man in einer Zeit des "Machbaren" leicht neigt). Diese Warnung gilt besonders für den Umgang mit hochaktiven (sog. kontraphobischen) Patienten. Sie können sich zwar ausgezeichnet anpassen, sobald aber eine Situation ausweglos wird, sind sie außerstande, sich zu fügen, und kapitulieren dann rasch. Ihnen ist mehr geholfen, wenn sie lernen, auch Schwäche und Hilflosigkeit zu akzeptieren. Dagegen sollten Kranke, die zum depressiven Rückzug und zur Autoaggression neigen, ermuntert werden, ihre Aggressionen auf eine aktive kämpferische Auseinandersetzung mit der Erkrankung zu richten.

   Eine feste und tragfähige Beziehung zum behandelnden Arzt begegnet der Hoffnungslosigkeit des Kranken und schützt ihn gegen Suizidtendenzen. Wer bereits im Krankenhaus die Erfahrung macht, gemieden zu werden, wird sich möglicherweise generell sozial zurückziehen. Umgekehrt fördert es die Bereitschaft des Patienten, sich aktiv mit seinem Leiden aus einander zusetzen und die Sozialbeziehungen aufrechtzuerhalten, wenn man ihn von Anfang an aktiv in die Planung und Durchführung seiner Behandlung einbezieht.

   Die supportive begleitende Therapie hat die wichtige Aufgabe, das Selbstwertgefühl des Kranken zu stützen. Dieses ist durch körperliche Schäden, Funktionseinbußen, den Verlust von Befriedigungsmöglichkeiten und Rollenveränderungen erheblich bedroht. Das Problem kulminiert in der Frage "Was bin ich als Kranker überhaupt noch wert?". Der Arzt kann dem Krebskranken dabei helfen, in Familie und Beruf alte Rolle aufrechtzuerhalten oder neue zu finden, positive Anteile früherer Beziehungen als fortbestehend zu erkennen, vorhandene positive innere Bilder wieder wahrzunehmen und diese vor Entwertungen zu bewahren.

   Bei alledem dürfen unterdrückte und gehemmte Impulse nicht übersehen werden. Enttäuschung sollte angesprochen, plötzlich durchbrechende Wut toleriert und verstanden werden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Patienten, die durch ihre kooperative, bescheidene und liebenswürdige Art dazu verleiten, ihre Bedürfnisse zu übersehen und ihnen die notwendige Zuwendung vorzuenthalten.

   Wenn Krebspatienten unter schweren depressiven Symptomen leiden, kann eine unterstützende psychopharmakologische Therapie angezeigt sein. Ähnlich wie bei der Schmerzbehandlung werden leider auch hier die Möglichkeiten oft unzureichend ausgeschöpft.

   Nicht zuletzt kann eine offene Kommunikation mit den Angehörigen dazu beitragen, dem Kranken neue Hoffnung zu geben. Letztere bezieht sich nicht nur auf das Überleben, sondern auch auf die Entwicklung und Aufrechterhaltung seiner sozialen Beziehungen. Die Furcht vor dem "sozialen Tod" (dem Erleben von Wertlosigkeit und Alleingelassenwerden) ist mitunter größer als die Furcht vor dem physischen Tod. Sie nimmt oft ab, wenn die Familie die deprimierende Wirklichkeit des Kranken und seine Trauer teilt. Häufig findet die Familie dann auch zu neuen und positiven Formen der Selbstverwirklichung, der Selbstfindung sowie des Erlebens von Abhängigkeit. Die Einbeziehung der Familien Krebskranker ist so wichtig, dass sie der Einzelbetreuung gleichgesetzt werden sollte.

   Und nicht zu vergessen: Indem man offen über die Sorgen und Bedürfnisse des Patienten spricht und seine Lebensplanungen unterstützt, verringert man die soziale Stigmatisierung dieser Kranken. Außerdem wird es leichter, die rehabilitativen Möglichkeiten zu nutzen, die zumindest vorübergehend oft gegeben sind.